28.10.2015, 08:11 Uhr

Braunkohle-Deal mit RWE, Vattenfall und Mibrag: Von Hartz IV bis Durchbruch

Berlin/Münster – Der von der Bundesregierung mit den Betreibern von Braunkohle-Kraftwerken geschlossene Deal hat ein breites Echo in der Energiewirtschaft hervorgerufen. RWE, Vattenfall und Mibrag sollen für die schrittweise Abschaltung von Kapazitäten in Höhe von 2.700 Megawatt (MW) in Summe 1,6 Mrd. Euro erhalten. Von Hartz IV und Postkutschen, aber auch von einem Durchbruch ist die Rede.

Die Braunkohleblöcke werden mit dieser Maßnahme ab 2016 schrittweise aus dem Markt genommen und vorläufig stillgelegt. Für jeweils vier Jahre werden sie als letzte Absicherung der Stromversorgung verwendet. Danach werden die Blöcke endgültig stillgelegt. Die Betreiber der stillzulegenden Anlagen erhalten für die Herstellung der Sicherheitsbereitschaft und für die Stilllegung der Anlagen eine Vergütung. Dafür fallen Gesamtkosten in einer Größenordnung von rund 230 Mio. Euro pro Jahr über sieben Jahre an. Dies bedeutet eine Gesamtsumme von 1,61 Mrd. Euro und einen Anstieg der Netzentgelte um rund 0,05 Cent pro Kilowattstunde (kWh).

Vattenfall: Wesentlicher Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele

RWE wird in diesem Rahmen fünf Blöcke mit 1.500 MW in diese „Sicherheitsbereitschaft“ schieben. Vattenfall betreibt in Brandenburg und Sachsen insgesamt über rund 8.000 MW Erzeugungskapazitäten und soll nun im Rahmen der „Sicherheitsbereitschaft“ die Blöcke E und F in Jänschwalde in Brandenburg mit einer Gesamtkapazität von 1.000 MW auf Dauer vom Netz nehmen. Dazu erklärte Magnus Hall, Vorstandsvorsitzender und Präsident von Vattenfall AB: „Die Stilllegung der Anlagen wird einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele in Deutschland leisten. Die Vereinbarung gewährleistet auch die notwendige Versorgungssicherheit und schafft mehr Klarheit über die Rahmenbedingungen für das verbleibende Geschäft in der Lausitz. Das ist auch für den Verkaufsprozess unserer Braunkohleaktivitäten in Deutschland wichtig.“ Betriebsbedingte Kündigungen von Mitarbeitern im Zusammenhang mit der Sicherheitsbereitschaft schließt Vattenfall aus.

BUND: Sehr wenig Klimaschutz für sehr viel Geld

Tina Löffelsend, Energieexpertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), findet den Klimaschutz zu teuer. In einem Inrterview mit dem Deutschlandfunk erklärte sie, dass es sehr wenig Klimaschutz für sehr viel Geld sei. Dabei hätte dies vor allen Dingen die Verbraucher einmal mehr zu schultern. Es müssten tatsächlich deutlich mehr Kraftwerke stillgelegt werden, um die Klimaziele, vor allen Dingen das Klimaziel 2020, erreichen zu können. So sei die Bundesregierung auch einmal angetreten und habe sich dann auf einen schlechten Kompromiss mit der Kohle-Lobby geeinigt.

Krischer: Kraftwerksreserve mit elf Tagen Reaktionszeit braucht keiner

Oliver Krischer, Fraktions-Vizechef von Bündnis 90 / Die Grünen, kann die Deklaration als Sicherheitsbereitschaft nicht nachvollziehen. Eine Kraftwerksreserve, die erst nach elf Tagen den vertraglich vereinbarten Strom produziert, brauche niemand, so Krischer. Versorgungsengpässe im Stromsektor seien nach elf Tagen entweder vorbei oder sie hätten längst zu einem Blackout geführt. Krischer vergleicht den Ansatz auf ein Bild aus dem Verkehr: Man haben in Deutschland auch keine Pferdekutschen für den Fall, dass alle Rettungswagen im Einsatz oder kaputt seien.

Medien: Hartz IV, starke Braunkohlelobby und Durchbruch

Auch in Kommentaren verschiedener Medien wird immer wieder auf die enormen Kosten angespielt: Im Kommentar der FAZ wird daran erinnert, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Sommer 2014 noch verkündet hatte, „Hartz IV“ für Kraftwerke werde es mit ihm nicht geben. Damit war gemeint, das nur derjenige Geld bekommen soll, der auch arbeitet bzw. Strom erzeugt. Für die Nichtproduktion von Strom gebe es auch nichts. Doch nun werde Gabriel von seiner eigenen Aussage eingeholt, denn genau das sei mit der Sicherheitsbereitschaft ab kommendem Jahr geplant.

Der WDR-Kommentator findet, dass die Braunkohle-Lobbyisten ganze Arbeit geleistet hätten. Aus einer ursprünglich geplanten Abgabe für besonders ineffiziente und klimaschädliche Kraftwerke hätten sie innerhalb weniger Wochen ein milliardenschweres Hilfspaket gemacht.

In einem taz-Kommentar der taz wurdenn die positiven Aspekte des Deals hervorgehoben. Es solle nicht untergehen, dass auch der nun gefundene „teure Kompromiss“ einen Durchbruch in der Kohlefrage bedeute. Zum ersten Mal werden nun in Deutschland per Gesetz Kohlekraftwerke stillgelegt.

Quelle: IWR Online

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