06.06.2017, 10:21 Uhr

Atomenergie: Uralt-Meiler dominieren Europa

Brüssel – Der nukleare Kraftwerkspark Europas altert zusehends und viele Staaten lassen die Reaktoren länger als ursprünglich geplant am Netz. Schon in wenigen Jahren könnte sich fast jeder zweite Reaktor in Europa im sogenannten Langzeitbetrieb befinden, wie aus einer Untersuchung der EU-Kommission hervorgeht. Und schon diese Verlängerung verschlingt Milliarden Euro.

Die Europäische Kommission hat die finale Version ihres Berichtes „Hinweisendes Nuklearprogramm“ gemäß dem Euratom-Vertrag vorgelegt. Es ist der erste Bericht dieser Art, der nach der Reaktorkatastrohe von Fukushima 2011 erstellt wurde. Die EU will damit zu einer „fundierten Debatte“ rund um die notwendigen Investitionsentscheidungen beitragen, die sich mit dem fortschreitenden Alter der europäischen Atom-Meiler stellen. Der Bericht legt damit auch die von der Kommission erwarteten Kosten offen.

Europas Atom-Kraftwerke werden immer älter

In der EU sind derzeit 129 Kernreaktoren in 14 Mitgliedstaaten mit einer Gesamtkapazität von 120 GW (1 GW = 1.000 Megawatt) in Betrieb. Das Durchschnittsalter der auf 40 Betriebsjahre ausgelegten Atomkraftwerke (AKW) beträgt dabei fast 30 Jahre. Es stehen nun also zeitnah Entscheidungen über Ersatzneubauten oder einen längeren Betrieb, über die vorgesehene Laufzeit hinaus, an. „Je nach Reaktormodell und -alter gehen die nationalen Regulierungsbehörden davon aus, dass sich durch Genehmigungen für den Langzeitbetrieb die Lebensdauer der Kraftwerke durchschnittlich um 10 bis 20 Jahre verlängert“, heißt es dazu in dem Bericht.

Jeder zweite Atom-Meiler geht in die „Laufzeitverlängerung“

Die Kommission erwartet, dass die Atom-Kapazität bis 2025 zunächst auf unter 100 GW sinken wird, sich bis zur Mitte des Jahrhunderts aber bei etwa 100 GW stabilisiert. Dafür sind zunächst vor allem Laufzeitverlängerungen bestehender Reaktoren verantwortlich, später sollen dann immer mehr Neubauten ans Netz gehen. Neubauten sind gesellschaftlich umstritten und wirtschaftlich oft nicht darstellbar, wie die Milliarden-Subventionen für geplante AKW-Neubauten zeigen. Viele Staaten setzen daher auf Laufzeitverlängerungen alter AKW.

Bereits im Jahr 2025 besteht nach der EU-Prognose ein Großteil der europäischen Atom-Kapazität (etwa 40 GW) aus solchen Uralt-Reaktoren. Weitere gut 20 GW sollen aus bis dahin fertiggestellten Atom-Neubauten stammen, der Rest aus den bestehenden Meilern. In den Folgejahren steigt der Anteil der Uralt-Meiler weiter an, denn ohne eine Laufzeitverlängerung müssten 90 Prozent der existierenden Reaktoren bis 2030 stillgelegt werden. Im Jahr 2040 stellen solche AKW knapp 60 GW und damit mehr als die Hälfte der europäischen Atom-Kapazität in Europa. Den Rest des nuklearen Kraftwerksparks stellen Neubauten.

Kommissions-Prognose: Europa müsste 770 Milliarden in die Atomenergie stecken

Doch um das von der EU erwartetet Atom-Level zu halten, müssten die Mitgliedstaaten Milliarden Euro in die Atomenergie investieren. Insgesamt müssten laut der EU-Schätzung auf Basis der Angaben der Mitgliedsstaaten bis 2050 gut 660 bis 770 Milliarden Euro in die Atomenergie fließen. Alleine für Sicherheitsmaßnahmen rund um die erwarteten Laufzeitverlängerungen fallen 45 bis 50 Milliarden Euro an. Die geltenden Sicherheitsanforderungen müssten dabei stets eingehalten werden, betont die Kommission.

Für die eingeplanten Neubauten werden 350 bis 450 Milliarden Euro fällig. Dabei geht die Kommission davon aus, dass sich die Kosten-Explosionen der jüngsten AKW-Neubauten – der französische Neubau Flamanville III wird statt 3,3 mindestens 9 Milliarden Euro kosten – nicht wiederholen. „In Zukunft sollten Projekte, die auf denselben Technologien basieren, von diesen Erfahrungen profitieren und Möglichkeiten zur Kostensenkung nutzen“, heißt es in dem Bericht.

AKW-Betreiber: 260 Milliarden Euro für Rückbau und Entsorgung

Für den AKW-Rückbau sowie die Entsorgung des Atommülls erwarten die AKW-Betreiber in Europa laut Bereiht Kosten in Höhe von 263 Milliarden Euro (Stand: Dezember 2014). Mit der Reaktor-Stilllegung gibt es weltweit jedoch bislang kaum Erfahrungen. Von den 90 in Europa im Januar 2016 endgültig abgeschalteten Reaktoren, wurden bislang nur drei AKW in Deutschland vollständig stillgelegt. Selbst ohne Neubauten wird die Atomenergie Europa aso noch Milliarden Euro Kosten.

Quelle: IWR Online

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