Regenerative Energien - Quo vadis?
von Dr. Norbert Allnoch

Angesichts des lebhaften politischen Ringens um den nationalen Energiekonsens wird oftmals im Zusammenhang mit dem Ausstieg aus der Kernenergie angeführt, der Anteil des Atomstroms könne u.a. durch das Energiesparen, eine Steigerung der Energieeffizienz, den vermehrten Einsatz von GuD-Kraftwerken und eine schnellere und massivere Nutzung regenerativer Energiequellen substituiert werden. Auf der anderen Seite weisen Kritiker vor allem auf ein bisher fehlendes langfristig angelegtes Gesamtkonzept zum Auf- und Ausbau von Alternativen und die unnötige Vernichtung von Kapital hin. Zudem drohe die einseitige Abhängigkeit von russischem Gas und die klimapolitischen Folgen eines verstärkten Einsatzes fossiler Energieträger durch den zusätzlichen Ausstoß von Kohlendioxid seien kaum zu vertreten. Trotz der kontroversen umwelt- und energiepolitischen Diskussionen scheint sich aber die Richtung in der deutschen Energiepolitik immer deutlicher abzuzeichnen: Der Ausstieg aus der Kernenergie ist politisch gewollt, wenngleich der Einstieg in die Alternativen erst in Konturen erkennbar wird. Bleibt es bei diesem Weg, dann dürfte die zukünftige energiepolitische Hauptaufgabe vor allem darin bestehen, die zeitliche Synchronisation dieser beiden gegenläufigen Prozesse in einem liberalisierten Marktumfeld sicherzustellen. 

Liberalisierung der Energiemärkte

Mit der Verabschiedung der EG-Binnenmarktrichtlinie Elektrizität sind innerhalb der EU die Weichen auf dem Stromsektor grundsätzlich auf Wettbewerb gestellt. Allerdings ist die Marktöffnung in den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bisher sehr unterschiedlich realisiert worden. In Deutschland wurde mit der Novellierung des Energiewirtschaftsrechts bereits im April 1998 der Strommarkt ohne Übergangsregelung zu 100% geöffnet. In Frankreich ist die Richtlinie im Frühjahr 1999 noch nicht umgesetzt worden (26% Marktöffnung geplant) und der französische Strommarkt wird trotz des vermeintlich billigen eigenen Atomstroms in den nächsten Jahren nur stufenweise für nationale und ausländische Konkurrenten geöffnet. 

Mit der Liberalisierung der Energiemärkte hat auf dem deutschen Strommarkt der erwartete Preiswettbewerb für Großkunden bereits eingesetzt. Die Preisnachlässe wirken sich mit einer zeitlichen Verzögerung auch auf die Höhe der Vergütungspreise aus, die im Rahmen des Stromeinspeisungsgesetzes für Strom aus erneuerbaren Energien gezahlt werden. Zwar wird die neue Stromsteuer auf den Basispreis zur Berechnung der Vergütungssätze angerechnet, allerdings wird dadurch der Abwärtstrend wohl nur gedämpft. 

Während einerseits der Wettbewerb auf dem leitungsgebundenen Energiesektor greift, besteht andererseits der politische Wille, den EU-Anteil der erneuerbaren Energien von derzeit 6 % auf 12% bis zum Jahr 2010 zu verdoppeln. Auch auf nationaler Ebene soll dieses Verdoppelungsziel erreicht werden. Eine derzeit in Arbeit befindliche Studie mit dem Titel „Klimaschutz durch Nutzung erneuerbare Energien“ im Auftrag des Umweltbundesamtes soll zukünftige Wege zur Realisierung dieses Ziels aufzeigen. 

Vor dem hier dargestellten Hintergrund und angesichts des weltweiten Überangebotes an fossiler Energie scheint die reale Umsetzung dieser ehrgeizigen Ziele derzeit kaum möglich zu sein. Nimmt man als Maß für die Verfügbarkeit eines Gutes den Preis, dann hat es angesichts der real niedrigen Energiepreise den Anschein, als sei fossile Energie im Überfluß vorhanden. Diese kurzfristige Überversorgung darf aber nicht über die längerfristigen Perspektiven hinwegtäuschen.  Riskiert man einen Blick in das 21.
Jahrhundert, dann dürfte die zu erwartende physische Verknappung fossiler Energieträger ein ernstzunehmendes Problem sein. Tatsächlich wird mit der Nutzung unserer einmaligen und unwiederbringlichen fossilen Energiereserven in einem atemberaubenden Tempo ein gigantisches geophysikalisches Feuerwerk abgebrannt. Selbst wenn der Leser Reservezeiträume einzelner Energieträger von 30 oder 50 Jahren noch als beruhigend empfindet, ein eigener retrospektiver Blick relativiert schlagartig den nur scheinbar weit entfernten Zukunftshorizont. Es ist daher kaum verwunderlich, dass alle seriösen Energieszenarien - auch aus den Reihen der Mineralölwirtschaft - für die Zukunft nicht nur aus klimapolitischen Gründen von einem deutlich höheren Anteil regenerativer Energien am Energiemix ausgehen.

In Deutschland hat die Nutzung erneuerbarer Energien in den letzten Jahren vor allem mit Unterstützung bundes-, landesspezifischer und kommunaler Förderprogramme sowie der Flankierung durch das Stromeinspeisungsgesetz (StrEG) einen deutlichen Wachstumsschub erfahren können. Allerdings konnten sich die  einzelnen regenerativen Energietechnologien unter den gegebenen politischen Rahmenbedingungen nicht einheitlich entwickeln. Während vor allem der Markt für Windenergieanlagen mit einer hohen Dynamik wächst und die Branche 1998 bereits einen Gesamtumsatz von rd. 2,2 Mrd. DM erzielte, befindet sich der Markt für Photovoltaik, d.h. die solare Stromerzeugung, trotz einer beachtlichen Kostendegression in den letzten zehn Jahren immer noch in der Initialisierungsphase. Im Unterschied hierzu konnte die Solarbranche auf dem Solarwärmemarkt dank der hohen Nachfrage nach  solarthermischen Hausanlagen kontinuierlich steigende Wachstumszahlen verzeichnen. 

Energiewirtschaftliche und industrielle Bedeutung

Die aktuellen Diskussionen um die regenerativen Energien konzentrieren sich auf die Kernfrage, welchen Anteil die erneuerbaren Energien an der Energieversorgung überhaupt erreichen können. Dabei entzündet sich die öffentliche Debatte immer wieder an dem mutmaßlich maximalen Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung, während die regenerative Wärmeerzeugung oder der Einsatz nachwachsender Rohstoffe  im Verkehrsbereich (Biodiesel) in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. 

In Deutschland wurden im Jahr 1998 ingesamt rd. 26, 5 Mrd. Kilowattstunden Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, das ist etwa ein Anteil von 5 % am bundesdeutschen Stromverbrauch (500 Mrd. kWh). Die Wasserkraft trägt hierzu derzeit mit rd. 19 Mrd. kWh den Hauptanteil bei, gefolgt von der Windenergie mit 4,6 Mrd. kWh. Im Unterschied zur Stromerzeugung wird die regenerative Wärmeerzeugung weniger kontrovers und emotional diskutiert. Zwar steigt der Absatz  solarthermischer Kleinanlagen aufgrund der privaten Nachfrage kontinuierlich, aber der Einsatz größerer Solaranlagen, solarer Nahwärmesysteme oder geothermischer Anlagen hat noch weitgehend Demonstrationscharakter.

Im Verkehrsbereich konnten 1998 rd. 100.000 Tonnen Biodiesel (Rapsmethylester)  abgesetzt werden. An insgesamt 800 Tankstellen in Deutschland kann derzeit Biodiesel getankt werden. Nach einer aktuellen IWR-Umfrage liegen die Preise derzeit im Durchschnitt sogar rd. 3 Pf unter den normalen Dieselpreisen. Bereits seit 1996 können beispielsweise fast alle Serienfahrzeuge von VW oder Audi ohne Umrüstung und uneingeschränkt mit Biodiesel oder im Wechsel mit normalem Diesel betankt werden. 
 

Neben der energiewirtschaftlichen Bedeutung erneuerbarer Energien rückt relativ zaghaft der industrielle Aspekt in das Blickfeld des öffentlichen Interesses. Immerhin wurde 1998 in Deutschland mit dem Bau regenerativer Anlagen und Technologien ein Umsatz von etwa 6 Mrd. DM erwirtschaftet. Rund  25.000 Arbeitsplätze werden in Deutschland auf dem Sektor der regenerativen Energietechnologien gesichert. Davon entfallen alleine über 10.000 Arbeitplätze auf die Herstellung, den Vertrieb und die Errichtung von Windenergieanlagen.  Im Auftrag des Wirtschaftsministeriums Nordrhein-Westfalen hat das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) erstmals für ein Bundesland die Zahl der tatsächlichen Arbeitsplätze auf dem Gebiet der regenerativen Energietechnologien vor allem bei mittelständischen Unternehmen ermittelt. (Kurzfassung der Studie als pdf-Datei). Von insgesamt über 1.000 angeschriebenen Herstellern, Zulieferfirmen, Händlern, Dienstleistungsunternehmen und Institutionen aus NRW haben 379 an der Erhebung teilgenommen. Die Auswertung ergab, dass bei den befragten Unternehmen im Anlagen- und Systembau die Zahl der Arbeitsplätze von 2.940 (1996) auf fast 3.200 (1997) und der Umsatz von ca. 763 Mio DM (1996) auf rd. 822 Mio DM (1997) anstieg. Aufgrund der Rücklaufquote von rd. 34% dürfte die tatsächliche Zahl noch erheblich höher ausfallen.
 

Schlußbemerkung

Vor allem die kausale Verknüpfung zwischen der Nutzung der Kernenergie und dem Einsatz regenerativer Energien lähmt in Deutschland noch immer die industriellen  Handlungsoptionen und führt zur politischen Polarisierung der Gesellschaft mit der Folge, dass bis heute eine Diskussion der erneuerbaren Energiequellen fast immer im Kreuzfeuer des politischen Farbenspiels erfolgt. Wenn jedoch selbst die strategisch ausgerichtete Royal Dutch/Shell-Gruppe für das 21. Jahrhundert von einer deutlichen Zunahme des Anteils regenerativer Energien ausgeht, dann erscheint die energiewirtschaftliche Richtung klar zu sein.  Um allerdings neue Märkte auch mit Technologien von morgen bedienen zu können, müssen die Entwicklungsgrundlagen heute geschaffen und die industriepolitischen Weichen bereits jetzt gestellt werden. Immer wieder wird in Deutschland beklagt, dass die Anwendung und  Umsetzung neuer Technologien zu langsam erfolgt. Bleibt zu hoffen, dass eine politische Entkrampfung des Themas „regenerative Energien“ einsetzt und mit Hilfe wirtschaftsorientierter Rahmenbedingungen den nationalen Unternehmen die Chance gegeben wird, neue industrielle Zukunftsmärkte in einem frühen Entwicklungsstadium mitzugestalten. Die Vergangenheit hat schon zu oft schmerzhaft gezeigt, dass hierzu vor allem die frühzeitige Besetzung neuer industrieller Felder erforderlich ist - und damit der  Grundstein für die Arbeitsplätze von morgen gelegt wird.

Dr. Norbert Allnoch, Leiter des Internationalen
Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR) 
Robert-Koch-Str. 26-28, 48149 Münster, 
Internet: http://www.iwr.de
 
 
 

Münster, den 06.07.1999 
 

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