Beschluß des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster (AZ: 10 B 2385/96)

Forschungsgruppe Windenergie, Universität Münster

10 B 2385/96
9 L 527/96 Düsseldorf

Beschluß

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

...

wegen baurechtlicher Nachbarstreitigkeit;
hier: Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes

hat der 10. Senat des

OBERVERWALTUNGSGERICHTS FÜR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN

am 22. Oktober 1996 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Prof. Dr. Stelkens, den Richter am Oberverwaltungsgericht Neumann, den Richter am Oberverwaltungsgericht Maier

auf die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 19. August 1996 beschlossen:

Der angefochtene Beschluß wird geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klagen 9 K 11001/96 - VG Düsseldorf - der Antragsteller gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 18. August 1994 zur Errichtung einer Windenergie-Anlage auf dem Grundstück ... geändert und ergänzt durch Bescheid vom 1. Februar 1996 und durch Bescheide vom 12. August 1996 wird wiederhergestellt.

Der Antragsgegner und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen je zur Hälfte mit Ausnahme ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten, die Sie jeweils selbst tragen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,- DM festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerden der Antragsteller sind begründet. Ihr Interesse daran, den Betrieb der genehmigten Windenergie-Anlage bis zum Abschluß des Hauptsacheverfahrens zu verhindern, überwiegt das Interesse der Beigeladenen, von der ihr erteilten Baugenehmigung sofort Gebrauch machen zu dürfen. Den Antragstellern ist das Interesse an einer Stillegung der Anlage nicht schon deshalb abzusprechen, weil die Anlage bereits errichtet ist. Zwar gebietet der Regelfall eine derartige Wertung, wie das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung zutreffend dargelegt hat. Hier ist es aber anders. Die Nutzung der errichteten Anlage ist den Antragstellern auch für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht zumutbar.

Ob die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 18. August 1994 in der Fassung späterer Änderungen und Ergänzungen im Hauptsacheverfahren Bestand haben wird, ist derzeit offen. Nach seinem gegenwärtigen Erkenntnisstand kann der Senat nicht ausschließen, daß diese Baugenehmigung gegen öffentlichrechtliche Vorschriften verstößt, welche auch den Interessen der Antragsteller als baurechtlichen Nachbarn zu dienen bestimmt sind.

Planungsrechtlich mag die Errichtung einer Windenergie-Anlage auf dem streitigen Grundstück gemäß § 30 BauGB zulässig sein. Der einschlägige Bebauungsplan setzt für dieses Grundstück ein Industriegebiet fest. Jedoch können von dem Betrieb der Windkraftanlage Belästigungen und Störungen ausgehen, die in dem angrenzenden Wohngebiet ... nach der Eigenart dieses Baugebiets unzumutbar sind. Unter dieser Voraussetzung wäre das Vorhaben der Beigeladenen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzulässig. Es verstieße dadurch gegen das Gebot der Rücksichtnahme, welches in dieser Vorschrift verankert ist. Das Gebot der Rücksichtnahme gewährt auch den Antragstellern Schutz; sie sind Eigentümer von Grundstücken in dem angrenzenden Wohngebiet ... . Insoweit setzt der hierfür einschlägige Bebauungsplan ein Reines Wohngebiet fest. Dem entspricht das Wohngebiet seiner Eigenart nach inzwischen auch tatsächlich. Hier ist nicht zu untersuchen, ob gegen die Ausweisung eines im wesentlichen neu zu schaffenden Reinen Wohngebiets neben einem Industriegebiet Bedenken bestehen. Der Senat geht in Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes regelmäßig von der Gültigkeit eines Bebauungsplans aus.

Der Betrieb der Windkraftanlage kann in verschiedener Weise die Nutzung der hier in Rede stehenden Grundstücke zu Wohnzwecken stören. Der Grad dieser Störung und die Zumutbarkeit der damit einhergehenden Beeinträchtigungen sind bisher nicht hinreichend geklärt. Diese Auffassung teilt offenbar auch der Antragsgegner. Auflagen zum Schutze des Wohngebiets schiebt er nach und nach erst im Laufe der Nachbarstreitigkeiten nach.

Der Betrieb der Windkraftanlage verursacht zum einen Lärm. Er ist auf den Grundstücken der Antragsteller je nach Windgeschwindigkeit und Drehzahl des Rotors mehr oder weniger deutlich wahrnehmbar. Bei der Ortsbesichtigung durch den Berichterstatter war von der Windkraftanlage jedenfalls zeitweise ein dumpfer anhaltender Ton zu hören, obwohl an jenem Tag in Bodennähe nahezu Windstille herrschte und das Windrad sich nur leicht drehte. Der TÜV Rheinland hat für das Wohngebiet .... bei seinen Messungen einen Beurteilungspegel von 48 db(A) ermittelt. Diese Meßergebnisse gelten nach dem Bericht des TÜV Rheinland für Windgeschwindigkeiten unter etwa 5 m pro Sekunde. Der TÜV Rheinland weist darauf hin, erfahrungsgemäß nähmen Geräusche von Windkraftanlagen mit zunehmender Windgeschwindigkeit zu. Eine Beurteilung der Geräuschimmissionen für Windgeschwindigkeiten über 5 m pro Sekunde erfordere weitere Messungen. Messungen des Staatlichen Umweltamtes Düsseldorf bei höheren Windgeschwindigkeiten (zwischen 4 m pro Sekunde und 6 m pro Sekunde) erbrachten Wirkpegel zwischen 40,7 dB (A) und 54,1 dB (A). Eine Aussage zum Beurteilungspegel hat das Staatliche Umweltamt Düsseldorf (noch) nicht machen wollen, weil die Ermittlung eines Beurteilungspegels sich komplex gestalte. Der Antragsgegner hat die Baugenehmigung daraufhin mit einer Auflage versehen, nach welcher der Betrieb der Windenergie-Anlage in der Zeit zwischen 6.00 Uhr und 22.00 Uhr- keine Geräuschimmissionen verursachen darf, die einen Immissionswert von 55 dB(A) überschreiten, bezogen auf die vom Lärm am stärksten betroffenen Wohnhäuser im Wohngebiet. Dies wirft in mehrfacher Hinsicht klärungsbedürftige Fragen auf. Zum einen ist offen, ob der Antragsgegner mit dieser Auflage das Maß des Zumutbaren für Lärmeinwirkungen durch die Windkraftanlage auf die Grundstücke der Antragsteller zutreffend erfaßt hat. Mit einem Wert von 55 dB(A) überschreitet der Antragsgegner die Vorgabe von 50 dB(A), welche die TA-Lärm für reine Wohngebiete als Grenze der Zumutbarkeit ansieht. Der Antragsgegner hält sich für berechtigt, diese Grenze heraufzusetzen, weil das Wohngebiet unmittelbar an ein Gewerbegebiet und das dahinterliegende Industriegebiet angrenze. Er meint namentlich unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. Dezember 1975 - 4 C 71.73 - BVerwGE 50, 49/54 f., den Antragstellern gebühre wegen dieser Nachbarschaft ein geringerer Schutz als er in Reinen Wohngebieten sonst gewährleistet sein müsse. Diese Auffassung bedarf einer Überprüfung im Hauptsacheverfahren. Der hier gegebenen Situation wird sie nicht ohne weiteres gerecht. Es war nicht ein unmittelbares Nebeneinander oder ein Gemenge von Wohnen und Gewerbe vorhanden, das wie auch immer entstanden war. Vielmehr hat die Stadt mit dem Bebauungsplan für das Wohngebiet erstmals Wohnbebauung in einem bis dahin unbebauten Bereich zugelassen. Sie hat damit Wohnbebauung an die Grenze eines planungsrechtlich ausgewiesenen Industriegebiets herangeschoben, das sie gleichzeitig teilweise durch einen weiteren Bebauungsplan als Gewerbegebiet überplant hat. Sie hat jedoch gerade in dem hier interessierenden Bereich davon abgesehen, zwischen Industriegebiet und Reinem Wohngebiet den Riegel eines weniger störenden Gewerbegebietes "dazwischenzuschieben", unabhängig von der Frage, ob das im übrigen als Riegel gedachte Gewerbegebiet einen ausreichenden Schutz bewirkt. Entscheidet die Stadt sich in dieser Weise für ein Nebeneinander von Gewerbe und Wohnen und setzt sie für das Wohngebiet ein Reines Wohngebiet fest, so spricht manches dafür, daß sie ihr damit gegebenes Schutzversprechen bei späteren Genehmigungsverfahren auch einlösen muß. Sie darf keine (weiteren) Gewerbebetriebe zulassen, welche in dem angrenzenden Wohngebiet Immissionen verursachen, die in einem Reinen Wohngebiet nicht hinnehmbar sind. Die Stadt kann schwerlich ein Reines Wohngebiet festsetzen, im Vollzug dieses und gleichzeitig erlassener anderer Bebauungspläne aber so tun, als hätte sie nur ein Allgemeines Wohngebiet mit dem dafür vorgesehenen minderen Schutz festgesetzt. Danach spricht schon manches dafür, daß der Antragsgegner mit der nachgeschobenen Auflage den Antragstellern ein höheres Maß an Lärm zumutet, als sie nach der Eigenart ihres Wohngebiets hinzunehmen haben.

Dies ist indes nicht allein ausschlaggebend. Klärungsbedürftig ist nämlich weiter, ob ein Beurteilungspegel, wie er von dem angewandten technischen Regelwerk vorgegeben wird, überhaupt geeignet ist, die Beeinträchtigungen durch Lärm von einer Windkraftanlage jedenfalls diesen Typs zutreffend zu erfassen. Ein Beurteilungspegel der hier verwendeten Art vermag die besondere Lästigkeit eines Geräusches nicht wertend einzufangen. Die Antragsteller beschreiben einen monotonen Brummton, der in seiner Intensität schwankt. Das Staatliche Umweltamt Düsseldorf spricht in seinem Meßbericht vom 28. Mai 1996 von einem dauernden an- und abschwellenden Heulton, der bei stärkerer Windgeschwindigkeit lauter wahrnehmbar wird. Hinzutritt das schlagartige Geräusch, welches entsteht, wenn die Rotorblätter den Turm passieren. Es erscheint ohne weiteres nachvollziehbar, daß die Belastung mit einem derartigen Dauerton, kombiniert mit herausgehobenen Einzeltönen als besonders störend empfunden werden. Sie binden auf Dauer die Aufmerksamkeit des Hörers. Dieser kann sich ihnen nur schwer entziehen. Sie sind deshalb geeignet, unabhängig von ihrer Lautstärke seine Konzentration auf anderes nachhaltig zu stören. Die Antragsteller sind derartigen Geräuscheinwirkungen auch nach Feierabend bis zum Hereinbruch der Nacht um 22.00 Uhr sowie bereits morgens früh ab 6.00 Uhr ausgesetzt, und zwar auch an Wochenenden und Feiertagen. Auf diese gesamte Zeitspanne bezieht sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung.

Daß eine Windkraftanlage der hier genehmigten Typs gerade durch die Art des von ihr verursachten Lärms unzumutbar auf nahegelegene Wohnbebauung einwirken kann, entnimmt der Senat auch dem Runderlaß des Ministers für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft vom 21. März 1990 Abstände zwischen Industrie- bzw. Gewerbegebieten im Rahmen der Bauleitplanung (Abstanderlaß).

In ihm sind sachverständige Erfahrungswerte eingegangen. Sie haben zwar in erster Linie für die Bauleitplanung Bedeutung. Werden die Werte des Abstanderlasses deutlich unterschritten, kann dies jedoch zusammen mit konkreten Feststellungen zum Einzelfall die Einschätzung stützen, daß unzumutbare Beeinträchtigungen nicht auszuschließen sind

vgl.: OVG NW, Beschluß vom 8. Mai 1996- 7 B 18/96 -

Anhang 2 des erwähnten Abstanderlasses enthält den ergänzenden Hinweis, nach Untersuchungen an einzelnen Windkraftanlagen mit einer Leistung von mehr als 300 kW sei von einem erforderlichen Abstand von mindestens 500 m auszugehen. Wegen der Abhängigkeit des erforderlichen Abstands von der Leistung und Konstruktion der einzelnen Anlage sei eine pauschale Beurteilung nicht möglich. Die genehmigte Anlage hat eine Leistung von 500 kW. Sie hält zu dem Grundstück der Antragsteller zu 1. eine Entfernung von rund 170 m, zu dem Grundstück der Antragsteller zu 2. von rund 200 m ein. Die Wohnnutzung der hier in Rede stehenden Grundstücke kann ferner durch Lichteffekte nachteilig betroffen werden, welche die Windkraftanlage verursacht. Dies folgt aus den Feststellungen des Berichterstatters bei der Ortsbesichtigung, bei der im Beisein der Beteiligten eine Videokassette mit einem Film abgespielt worden ist, der auf dem Grundstück der Antragsteller zu 2. aufgenommen worden ist. Bei der Ortsbesichtigung selbst konnten dazu keine Feststellungen getroffen werden, weil der Himmel verhangen war. Steht die Sonne hinter dem Rotor, laufen bewegte Schatten über die Grundstücke der Antragsteller. Sie verursachen dadurch dort, je nach Umlaufgeschwindigkeit des Rotors, einen verschieden schnellen Wechsel von Schatten und Licht. Dadurch stören sie das Wohnen erheblich. Durch die Fenster sind diese Effekte auch in allen Wohnräumen wahrnehmbar, die der Windkraftanlage zugewandt sind, und zwar derart, daß diese Schatten durch den ganzen Raum wandern und von Wänden, Fenstern etc. widergespiegelt werden. Insoweit erweist sich für die Antragsteller die Lage ihrer Grundstücke zu der Windkraftanlage als besonders nachteilig. Das Grundstück der Antragsteller zu 1. ist mit seinem nicht besonders großen Garten, dem Wohnzimmer und der Küche im Erdgeschoß sowie einem Wohn- und Schlafzimmer im ausgebautem Dachgeschoß der 170 m entfernten Windkraftanlage zugewandt. Bei einer Höhe der Anlage von 65 m (Nabenhöhe) sowie einem Durchmesser des Rotors von gut 40 m ist die Anlage vom Grundstück der Antragsteller zu 1. aus jederzeit gut sichtbar. Das etwa 200 m entfernte Grundstück der Antragsteller zu 2. ist mit Garten, Balkon und Wohnzimmer ebenfalls auf die Anlage ausgerichtet. Die zuvor beschriebenen Schlagschatten treten nach den Berechnungen des Landesumweltamtes etwa zwischen Anfang September und Ende März eines jeden Jahres auf den hier in Rede stehenden Grundstücken auf. Dies deckt sich mit den Beobachtungen der Antragsteller. Die tägliche Dauer dieser Erscheinungen richtet sich nach dem Sonnenstand. Schlagschatten kann danach in den Nachmittagsstunden für eine Zeitdauer von bis zu zwei Stunden auftreten. Der Senat neigt dazu, derartige Erscheinungen trotz dieser verhältnismäßig geringen Dauer wegen der Intensität ihrer Lästigkeit für durchaus erheblich und unzumutbar zu halten. Dies bedarf hier vorerst keiner Vertiefung. Der Antragsgegner hat eine Auflage zu seiner Baugenehmigung nachgeschoben. Dadurch hat er der Beigeladenen aufgegeben, ab sofort jeglichen Schattenwurf durch den Betrieb der Rotorblätter der genehmigten Windenergie-Anlage infolge von Sonneneinstrahlung auf die Grundstücke und Gebäude in dem Wohngebiet zu unterlassen. Die Beigeladene hat die Auflage zwar mit Widerspruch angefochten und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung dieses Widerspruchs beim Verwaltungsgericht beantragt. Derzeit kann aber noch davon ausgegangen werden, daß die Antragsteller durch die Auflage vor unzumutbaren Beeinträchtigungen durch Schlagschatten bewahrt werden können. Die Auflage ist nicht offensichtlich unerfüllbar. Zwar mag derzeit kein helligkeitsempfindliches Steuergerät oder eine andere geeignete technische Vorrichtung zur Verfügung stehen, welche die Anlage bei Sonneneinstrahlung automatisch abschaltet, wie der Antragsgegner in seinem Bescheid vom 12. August 1996 angenommen hat. Jedoch kann die Beigeladene die Auflage dadurch erfüllen, daß die Anlage während der Zeiten, zu denen nach den Feststellungen des Landesumweltamtes Schlagschatten im Wohngebiet ... auftreten können, bei Sonnenschein von Hand oder unabhängig von Sonnenschein oder Bewölkung für diese Zeit durch eine Zeitschaltuhr automatisch abgestellt wird. Jedenfalls in diesem Verfahren ist nicht auszuschließen, daß die Auflage tauglich ist und die Beigeladene sie befolgt. Sollte ihr Rechtsmittel gegen die Auflage vor Abschluß des Hauptsacheverfahrens Erfolg haben oder sollte die Beigeladene sich über das Verbot hinwegsetzen, stellt sich auch im Verhältnis zu den Antragstellern eine neue Lage. Beeinträchtigt werden kann die Wohnnutzung der Grundstücke der Antragsteller ferner durch den von ihnen beschriebenen "DiscoEffekt". Dabei wird Sonnenlicht von den Rotorflügeln als Blitzlicht reflektiert und auf die Grundstücke geworfen. Insoweit bedarf näherer Klärung, wie häufig derartige Effekte je nach Sonnenstand und nach dem Stand des Rotors im Verhältnis zu den Grundstücken der Antragsteller auftreten können. Jedenfalls ist nachvollziehbar, daß diese Effekte unabhängig vom Stand der Sonne und dem Stand der Rotorblätter auftreten können und deshalb durch die vorgenannte Auflage nicht ausgeschlossen werden können. Daß auch diese Effekte in den der Anlage zugewandten Wohnräumen auftreten und von spiegelnden Flächen vervielfältigt werden können, ist eher wahrscheinlich als unwahrscheinlich und muß daher diesem Beschluß zugrunde gelegt werden.

Die Rücksichtslosigkeit des Vorhabens kann sich mit durchaus hoher Wahrscheinlichkeit darüber hinaus durch die Eigenart der Anlage als solcher ergeben. Sie liegt von den besonders intensiv, genutzten Wohnbereichen aus dem Blick offen. Ob die Antragsteller zu 1. in ihrem Wohnzimmer sitzen, in der Küche am Eßtisch sitzen, sich im Garten oder auf ihrer Terrasse aufhalten, stets haben sie die Anlage der Beigeladenen im Blick. Ähnliches gilt für die Antragsteller zu 2. Dabei nützt es wenig, der Anlage den Rücken zu kehren. Sie spiegelt sich in den Fenstern des eigenen Hauses oder benachbarter Häuser, sogar an den Inneneinrichtungen der Wohnungen, soweit diese reflektierende Oberflächen haben. Die dadurch verursachte Beeinträchtigung ist nicht nur ästhetischer Natur. Es geht auch nicht wie sonst um eine erdrückende Wirkung des Bauwerks. Die Anlage bedrängt die Antragsteller nicht durch ihre Baumasse, sondern durch die stete Bewegung des Rotors. Selbst wenn - wie bei der Ortsbesichtigung - in Bodennähe nahezu Windstille herrscht, drehen die Rotorflügel leicht. Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß eine derartige stete Bewegung im oder am Rande des Blickfeldes schon nach kurzer Zeit, erst recht auf Dauer unerträglich werden kann. Ein sich bewegendes Moment zieht den Blick des Menschen nahezu zwanghaft auf sich. Dies kann Irritationen hervorrufen; eine Konzentration auf andere Tätigkeiten wird wegen der steten, kaum vermeidbaren Ablenkung erschwert. Der Aufenthalt in geschlossenen Räumen bei heruntergelassenen Rolläden stellt keine zumutbare Alternative dar, um sich dieser Einwirkung der Anlage zu entziehen.

Danach ist nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Senats nicht auszuschließen, daß die Windenergie-Anlage wegen ihrer Nähe und Ausrichtung zu dem angrenzenden reinen Wohngebiet an einem hierfür ungeeigneten Standort genehmigt worden ist. Die Benutzer jedes Wohnraumes, das der Anlage zugewandt ist, und der Gärten, die den Wohnhäusern dienen, können sich in dem Augenblick den geschilderten Auswirkungen der Anlage nicht mehr entziehen, in dem die Rotoren in Betrieb gesetzt sind. Liegt danach im Bereich des Möglichen, daß die Antragsteller bei Betrieb der Anlage unzumutbaren und damit ihnen gegenüber rücksichtslosen Immissionen ausgesetzt sein werden, drängt sich als Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung auf, entsprechend der gesetzlichen Wertung dem Interesse der Antragsteller an der aufschiebenden Wirkung ihrer Rechtsbehelfe den Vorrang einzuräumen. Die bereits jetzt feststellbaren Einwirkungen sind ihnen nicht bis zur abschließenden Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumutbar. Dieser Wertung steht

OVG Lüneburg, Urteil vom 23. September 1986 - 6 A 182/84 Baurecht 1987, 297

nicht entgegen. Unabhängig davon, daß es in jenem Verfahren um eine kleine Windenergie-Anlage für ein Einfamilienhaus ging, wurden in dem Urteil gerade die spezifischen Auswirkungen nicht bewertet, welchen die sich drehenden Rotorblätter verursachen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwG0, § 100 Abs. 1 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 20 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz,1 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar.

Prof. Dr. Stelkens, Neumann, Maier

e-mail an: fgwind@uni-muenster.de