Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 1997


Sachgebiet: Straßenrechtliche Planfeststellung 

BVerwGE: nein

Fachpresse: ja

Rechtsquelle: BNatSchG § 8

Stichworte:

Naturschutzrechtliche Eingriffsregelung; Planfeststellung; Bestandsaufnahme von Natur und Landschaft; faunistische Bestandsaufnahme; Ermittlungstiefe; Ausgleichsmaßnahmen; Enteignung.

Beschluß vom 21. Februar 1997 - BVerwG 4 B 177.96

Leitsätze:

Die im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung anzustellenden Ermittlungen sind in dem Umfang durchzuführen, daß eine sachgerechte Planungsentscheidung möglich ist. Eine vollständige Erfassung der betroffenen Tier- und Pflanzenarten ist regelmäßig nicht erforderlich. Es kann vielmehr ausreichen, wenn für den Untersuchungsraum besonders bedeutsame Repräsentanten an Tier- und Pflanzengruppen festgestellt werden und wenn für die Bewertung des Eingriffs auf bestimmte Indikationsgruppen abgestellt wird.

Beschluß des 4. Senats vom 21. Februar 1997 - BVerwG 4 B 177.96

I. VGH Mannheim vom 28.03.1996 - Az.: VGH 5 S 1301/95 -


BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BESCHLUSS

BVerwG 4 B 177.96 VGH 5 S 1301/95

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 21. Februar 1997 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Hien und Halama beschlossen:

    Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs BadenWürttemberg vom 28. März 1996 wird zurückgewiesen.

    Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1 14,2 %, die Klägerin zu 2 12,4 %, der Kläger zu 3 37,2 %, der Kläger zu 4 13 %, der Kläger zu 5 5,2 % und die Kläger zu 6 bis 9 - diese als Gesamtschuldner - 18 %.

    Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 333 880 DM festgesetzt.

G r ü n d e :

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.

Die Fragen der Beschwerde zu den Anforderungen an eine Bestandsaufnahme des Naturhaushalts im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung rechtfertigen bereits deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil sie nicht entscheidungserheblich wären. Nach der Rechtsprechung des Senats hat auch ein grundstücksbetroffener Kläger keinen Anspruch auf ein vollständiges und fehlerfreies Vermeidungs- und Ausgleichskonzept. Er hat vielmehr nur einen Anspruch auf Planaufhebung, wenn und soweit ein Verstoß gegen die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung kausal für seine Eigentumsinanspruchnahme ist (vgl. Urteil vom 21. März 1996 - BVerwG 4 C 1.95 - Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 115). Da diese Kausalität für die - ohnehin nur unterstellten - Versäumnisse bei der faunistischen Erhebung vom Verwaltungsgerichtshof verneint wurde und hinsichtlich dieser Einschätzung kein durchgreifender Revisionszulassungsgrund ersichtlich ist, können die entsprechenden Fragen der Beschwerde - ihre Klärungsfähigkeit unterstellt - hier nicht zur Zulassung der Revision führen. Das gilt auch für die Frage, ob die spezifisch naturschutzrechtliche Abwägung gem. § 8 Abs. 3 BNatSchG dem Anwendungsbereich des § 17 Abs. 6 c Satz 1 FStrG unterliegt. Der Senat ist schon vor Inkrafttreten der letztgenannten Bestimmung davon ausgegangen, daß auch ein grundstücksbetroffener Kläger sich nicht auf jeden formellen oder materiellen Mangel der Planfeststellung berufen kann; ein Fehler kann vielmehr unbeachtlich sein, wenn auch bei seiner Korrektur der Eingriff in das Eigentum des Klägers unverändert bestehen bleibt (vgl. Urteil vom 18. März 1983 - BVerwG 4 C 80.79 - BVerwGE 67, 74 <77> = Buchholz 406.16 Eigentumsschutz Nr. 31). Die von der Beschwerde insoweit geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der Senat nicht, so daß auch eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht zur Klärung der Verfassungsmäßigkeit von § 17 Abs. 6 c FStrG - sollte diese Bestimmung hier überhaupt anwendbar sein - ausscheidet.

Im übrigen sind die Fragen zur Ermittlungstiefe im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung dem Grundsatz nach als geklärt anzusehen, darüber hinaus aber einer weitergehenden abstrakten Klärung kaum zugänglich. Grundsätzlich sollen die im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung anzustellenden Ermittlungen der Behörde die Basis dafür liefern, wie der konkrete Eingriff zu bewerten und im gestuften Entscheidungsprogramm des § 8 BNatSchG "abzuarbeiten" ist. Die Ermittlungen sind deshalb in dem Umfang durchzuführen, daß eine sachgerechte Planungsentscheidung möglich ist. Dagegen dient die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens nicht einer allgemeinen Bestandsaufnahme. Dabei ist von Bedeutung, daß nicht jede unvermeidbare Beeinträchtigung der Natur auszugleichen ist, sondern nur "soweit es zur Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege erforderlich ist" (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz BNatSchG). Es wird unter diesem Gesichtspunkt häufig nicht erforderlich sein, die von einem Vorhaben betroffenen Tier- und Pflanzenarten vollständig zu erfassen. Es kann vielmehr ausreichend sein, wenn für den Untersuchungsraum besonders bedeutsam Repräsentanten an Tier- und Pflanzengruppen festgestellt werden und wenn für die Bewertung des Eingriffs auf bestimmte Indikationsgruppen abgestellt wird. Sollen für ein Vorhaben z.B. intensiv landwirtschaftlich genutzte Flächen beansprucht werden, kann sich die Untersuchung der verbliebenen Tierwelt an entsprechenden Erfahrungswerten orientieren. Rückschlüsse auf die Tierarten anhand der vorgefundenen Vegetationsstrukturen und vorhandenen Literaturangaben können in solchen Fällen methodisch hinreichend sein (vgl. zur Umweltverträglichkeitsprüfung Beschluß vom 14. Juni 1996 - BVerwG 4 VR 2.96 <4 A 3.96> - S. 15/16 n.v.). Der Umfang der Ermittlungspflicht ist deshalb abhängig von der Art der Maßnahme und den jeweiligen naturräumlichen Gegebenheiten, in die eingegriffen werden soll. Je typischer die Gebietsstruktur des Eingriffsbereichs, je eher kann auch auf typisierende Merkmale und allgemeine Erfahrungen abgestellt werden. Gibt es dagegen Anhaltspunkte für das Vorhandensein besonders seltener Arten, wird dem im Rahmen der Ermittlungen nachzugehen sein. Ausgehend von diesen Grundsätzen bietet der vorliegende Fall keinen Anlaß zu einer weitergehenden "abstrakten" Klärung der Ermittlungstiefe im Rahmen der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung. Der Verwaltungsgerichtshof hat festgestellt, daß der Beklagte die den Landschaftsraum prägenden Elemente und vorherrschenden Nutzungen sowie die entstehenden Konflikte für Landschaft und Tierwelt dargestellt und beurteilt sowie die entsprechenden Lösungs- und Ausgleichsmaßnahmen aufgeführt hat; für besonders geschützte Biotope wurde eine eigene Bestands- und Konfliktanalyse erstellt. Mögliche Versäumnisse bei der faunistischen Bestandsaufnahme sind nach den weiteren Feststellungen des Erstgerichts jedenfalls nicht von Einfluß auf die Planung gewesen. Es sei nicht ersichtlich, daß eine detailliertere Erhebung der Tierwelt zu einem Absehen von der Maßnahme insgesamt oder zu einer Veränderung der Trassenführung im Bereich der Grundstücke der Kläger geführt hätte. Daraus folgt zugleich, daß die durchgeführten Ermittlungen im vorliegenden Fall für eine sachgerechte Planungsentscheidung hinreichend waren, so daß auch unter diesem Gesichtspunkt kein weiterer Klärungsbedarf für die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen besteht.

Die Frage, ob § 19 Abs. 1 Satz 2 FStrG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage zur Enteignung für festgesetzte Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen bietet, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, weil sie der Senat inzwischen in bejahendem Sinne entschieden hat (Urteil vom 22. August 1996 - BVerwG 4 A 29.95 - DVB1 1997, 68 = UPR 1997, 36). Das Beschwerdevorbringen bietet keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen, die auch vom 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts für die entsprechenden Bestimmungen des Wasserstraßenrechts und des Eisenbahnrechts geteilt wird (vgl. Beschlüsse vom 13. März 1995 - BVerwG 11 VR 4.95 - UPR 1995, 308 und vom 21. Dezember 1995 - BVerwG 11 VR 6.95 DVBl 1996, 676).

Die Frage, ob auch Ausgleichsmaßnahmen in den Anwendungsbereich des Vermeidungsgebots des § 8 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG fallen, wenn sie einen Eingriff in ein besonders geschütztes Biotop verursachen, kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Diese Frage wäre zum einen - so wie sie gestellt ist - ohne weiteres zu verneinen. Sie geht aber zum anderen von einem Sachverhalt aus, den der Verwaltungsgerichtshof so nicht festgestellt hat. Er hat vielmehr in diesem Zusammenhang ausgeführt, daß auch der Beklagte nicht alle im landschaftspflegerischen Begleitplan aufgeführten Maßnahmen als "echte" Ausgleichsmaßnahmen eingestuft hat und daß es im übrigen auf das Planungsergebnis ohne Einfluß wäre, wenn die eine oder andere Ausgleichsmaßnahme nur als Vermeidungs- oder Minimierungsmaßnahme einzuordnen wäre. Vor diesem Hintergrund ist ein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf hinsichtlich der Geeignetheit von Ausgleichsmaßnahmen nicht ersichtlich.

Schließlich sieht der Senat keinen Anlaß, dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die bindende Feststellung der Zielkonformität und des Bedarfs in § 1 Abs. 2 FStrAusbG gegen das Grundgesetz verstößt. Das Bundesverfassungsgericht hat zu der entsprechenden Bestimmung des Bundesschienenausbaugesetzes bereits ausgesprochen, daß verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestehen, da mit der Festlegung des Bedarfs noch nicht über die Trassierung im einzelnen und über die Abwägung verbindlich entschieden werde (vgl. Beschluß vom 19. Juli 1995 - 2 BvR 2397/94 - NVwZ 1996, 261).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 14, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 5 ZPO.


Home-IWREnglishEmail/Kontakt