Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)

Dienstag, 16. Juli 1996

Windstrom ist nicht immer ein Zuschußgeschäft

Zahl der Windräder gestiegen / Anlagekosten gesunken / Kritik von Umweltschützern und Energieversorgern

kff. FRANKFURT, 15. Juli. Im vergangenen Jahr sind in Deutschland Windkraftanlagen mit einer Leistung von zusammen knapp 500 Megawatt neu ans Netz gegangen. Damit hat sich die hierzulande insgesamt installierte Windkraftleistung auf 1.137 Megawatt erhöht. Hat man in den Jahren zuvor neue Windräder vor allen in den Küstenregionen aufgestellt, wurden 1995 erstmals im Binnenland mit einem Anteil von 47 Prozent fast genauso viele Anlagen installiert. Insgesamt drehten sich Ende des vergangenen Jahres in Deutschland 3.655 Windräder, die unter günstigen Voraussetzungen 2.619 Gigawattstunden Strom produzieren können und damit genau 0,56 Prozent des Netto-Stromverbrauchs abdecken. Zum Verleich: Ein Kernkraftwerk liefert etwa 10.000 Gigawattstunden im Jahr.

Doch nicht nur die Anzahl der in Deutschland aufgestellen Windräder ist in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen, auch die Größe und damit die Leistung der Windräder hat deutlich zugenommen. So wurden im zurückliegenden Jahr 28 Windräder mit einer Leistung von über 700 Kilowatt installiert. Eine Prototypanlage bringt es gar auf eine Leistung von 1,5 Megawatt. Doch mit dem bisherigen Ausbau und den Plänen für weitere Installationen - allein in Schleswig-Holstein sollen bis zum Jahr 2010 rund 1.200 Megawatt aus Windkraft kommen - nimmt auch der Widerstand gegen diese Technik zu. Dabei kommen die Einwände vor allem aus zwei Richtungen: Umwelt- und Landschaftsschützer sowie Energieversorgungsunternehmen sind die Hauptfeinde der Möglichkeit, mit Hilfe der Windkraft ohne die Freisetzung des treibhauswirksamen Kohlendioxyds Strom zu erzeugen.

Die Argumente der Umweltgruppen sind mittlerweile bekannt: Vögel würden in ihrem Brutverhalten gestört oder gar von den Rotoren getötet. Die Landschaft werde verschandelt und Anwohner durch den von den Windrädern verursachten Lärm sowie durch die von den rotierenden Propellern ausgelösten Lichteffekte nachhaltig in ihrem Ruhebedürfnis gestört. Völlig anders fällt dagegen die Kritik der Energieversorgungsunternehnien aus, die gemäß dem Stromeinspeisungsgesetz von 1990 dazu verpflichtet sind, den von den Windkraftanlagen produzierten Strom abzunehmen und dafür 90 Prozent des Preises zu zahlen, zu sie selbst ihren Strom an Privatkunden verkaufen.

Zur Zeit liegt dieser Preiß bei genau genau 17,21 Pfennig für eine Kilowattstunde. Zusätzlich zu der Einspeisevergütung, so klagen die Energieversorger, müßten sie in die Stabilisierung des Netzes investieren. Denn um den Windstrom von den Küsten in die leistungsstärkeren Kabel im Landesinneren zu leiten, seien größere Investitionen in die vorhandene Infrastruktur erforderlich. Während etwa die Schleswag in Rendsburg diese Kosten noch nicht an ihre Windstromlieferanten weitergibt, werden diese Zusatzaufwendungen von der EWE AG, Oldenburg, schon auf die Investoren umgelegt.

Wie hoch tatsächlich die Belastungen vor allem der küstennahen Energieversorgungsunternehmen durch die Abnahmeverpflichtung für Windstrom ausfallen, ist umstritten. Zwar müssen die Energieversorger den Betreibern von Windrädern die Einspeisevergütung überweisen, doch gilt es die verschiedenen Strombezugskosten hier gegenzurechnen. Welchen Betrag man von der Einspeisevergütung abziehen kann, ist nicht genau festzustellen, denn die Regionalversorger geben nur ungern Auskunft, wieviel sie im Durchschnitt für eine Kilowattstunde bei ihren Vorlieferanten zahlen müssen. Es werden Werte zwischen 9 und 14 Pfennig für die Kilowattstunde genannt. Da heute moderne, leistungsstarke Windräder an günstigen Standorten eine Kilowattstunde für etwa 12 bis 14 Pfennig bereitstellen, ist die Produktion von Windstrom nicht immer ein Zuschußgeschäft. Das gilt besonders dann, wenn man die vermiedenen Emissionen beim alternativ notwendigen Betrieb von fossil befeuerten Kraftwerken finanziell bewerten und mit in die Rechnung einbeziehen würde.

Vor allem die Fortschritte bei der Technik der Windräder und weiterentwickelte Produktionstechniken haben dazu geführt, daß heute die spezifischen Anlagekosten für ein Kilowatt installierter Windkraft bei 1.500 bis 1.800 DM liegen, während vor fünf Jahren noch 3.000 bis 4.000 DM aufgebracht werden mußten. Im Gegensatz zum allgemeinen Maschinenbau ging die Produktivitätssteigerung beim Bau von Windrädern mit steigenden Beschäftigtenzahlen und zunehmenden Umsätzen einher. Schätzungen gehen davon aus, daß die Hersteller von Windrädern einschließlich der Zulieferunternehnlen rund 4.500 Personen beschäftigen; der Gesamtumsatz der Branche soll bei 1,3 Milliarden DM liegen. Besonders hohe Ausbeuten lassen sich mit Windkraftanlagen erzielen, die sich den jeweiligen Windgeschwindigkeiten anpassen. Sie verfügen über verstellbar gelagerte Flügel. Die Netzeinspeisung ist bei diesen Windrädern mit variabler Drehzahl aufwendiger als bei den meist mit konstanter Drehzahl sich drehenden starren Anlagen, denn mit jeder Windböe schwankt die Leistung, und es kommt zu Spannungsspitzen. Doch über eine netzunabhängige Leistungsregelung lassen sich diese Schwierigkeiten in den Griff bekommen. Mit einem von dem Windradhersteller Enercon aus Aurich realisierten aktiven Regelungskonzept wird es möglich, die Energie von Windböen zwischenzuspeichern und damit die abgegebene Leistung zu vergleichmäßigen. Die variable Drehzahl wirkt hier wie ein Schwungrad. Diese Regelung hat nach den Aussagen des Herstellers zudem den Vorteil, daß vorhandene Netze in der Regel nicht verstärkt werden müssen, um den Windstrom unbeschadet aufnehmen zu können.

Totz aller Fortschritte bei der Konstruktion von Windrädern wird sich der Zubau neuer Anlagen in Europa langfristig nicht unbegrenzt nach oben schrauben lassen. Das große Potential für die Windenergie wird vielmehr in Ländern wie Indien oder China vermutet. Hier muß bei einem schnell steigenden Energiebedarf der Windstrom nur in Ausnahmefällen mit existierenden Kraftwerken konkurrieren und man kann eher den Nachteil der Windkraft akzeptieren, daß mit dieser Technik die Stromerzeugung kaum planbar ist. In Indien wurden in den vergangenen Jahren Windräder mit einer Leistung von zusammen 500 Megawatt installiert. Ursache hierfür waren weniger ökologisehe Überlegungen, sondern die Tatsache, ohne Brennstoffkosten Strom produzieren zu können. Nach den Worten des Leiters der Forschungsgruppe Windenergie an der Universität Münster, Norbert Allnoch, können sich am internationalen Geschäft mit Windkraftanlagen nur die Unternehmen erfolgreich beteiligen, die ihre Fachkenntnisse auch auf dem heimischen Markt demonstrieren können. In Deutschland hätten erst die Förderprogramme des Bundes und der Länder den heute erreichten Leistungsstand ermöglicht. Es wäre falsch, sagt Allnoch, diese Position durch eine zunehmend emotional geführte Diskussion um die Windkraft zu gefährden.

e-mail an: fgwind@uni-muenster.de