Westfälische Nachrichten/Sonderbeilage 50-jähriges Jubiläum

Di., den 25.06.1996

Zeiten - Zeitung - Zukunft

Die Menschheit braucht immer mehr Energie und verbraucht gleichzeitig die bestehenden Energievorräte immer schneller. Dr. Norbert Allnoch von der Forschungsgruppe Windenergie am Fachbereich Geowissenschaften der WWU Münster bricht eine Lanze für die regenerativen Energien, sprich Sonne und Wind.

Anschluß schon verloren?

Industriepolitische Weichen müssen jetzt gestellt werden

Es sind nun schon mehr als 20 Jahre vergangen, als die industrialisierte Welt durch den Ölpreisschock wie gelähmt erschien und die erneuerbaren Energien wie Sonne, Wind und Wasser plötzlich im Rampenlicht des öffentlichen Interesses standen. Noch einmal konnte das OPEC-Kartell seine überragende Sonderstellung zu Beginn der achtziger Jahre ausspielen, bis - Ironie des Schicksals - gerade wegen und in Erwartung noch höherer Ölpreise die weltweite Exploration und Ausbeutung neuer Ölfelder (z.B. in der Nordsee) rentabel wurde. Die energiepolitischen Folgen des Preisschocks sind bis in die heutige Zeit spürbar, denn einer heftigen Diskussion über die nationale Unabhängigkeit und Sicherheit der Energieversorgung folgte der weltweit zügige Ausbau der Kernenergie und in Deutschland zusätzlich das Bekenntnis zum Erhalt der heimischen Kohle. Der Einsatz regenerativer Energien ließ nach einer kurzen Demonstrationsphase und mit sinkenden Ölpreisen zunächst spürbar nach.

 Die Renaissance der erneuerbaren Energiequellen ist angesichts des derzeit weltweiten Energieüberangebotes eigentlich erstaunlich. Eine Ursache für diese Entwicklung in Deutschland dürfte in dem gespaltenen Verhältnis der Bevölkerung zur Kernenergie zu suchen sein. Tatsächlich scheint die öffentliche Akzeptanz der Kernenergie vor allem in industrialisierten Ländern in dem Maße zu schwinden, wie die eher theoretische und unwahrscheinliche Gefahr einer für den einzelnen - wie im Fall Harrisburg oder Tschernobyl - persönlichen Betroffenheit und Bedrohung weicht oder als solche empfunden wird.

 Mit einem ganzen Maßnahmebündel haben der Bund und die Länder seit dem Ende der achtziger Jahre die regenerativen Energien gefördert. Das 250 MW-Breitentestprogramm Wind oder das 1000 Dächer-Photovoltaikprogramm haben ihre industriepolitische Wirkung nicht verfehlt. Vor allem die Windenergie ist zu einer Wachstumsbranche mit einem Jahresumsatz von derzeit rd. 1,2 Mrd DM (1995) geworden. 

Einen entscheidenden Anteil an dieser Entwicklung hat das Stromeinspeisungsgesetz, das die Energieversorungsunternehmen verpflichtet, Mindestpreise für den Strom aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse zu vergüten. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß mit diesem gesetzlichen Instrument einseitig die Stromerzeugung tangiert wird, die nur einen Teil der Energieversorgung darstellt. Eine Substitution fossiler Energie zur Wärmeerzeugung oder des Kraftstoffverbrauchs wird nicht erreicht. 

Während mit dem rasanten Boom in der Windenergie auch eine deutliche Kostendegression bei der Stromerzeugung erkennbar ist, scheint bei der Photovoltaik ein technischer Durchbruch derzeit noch nicht in Sicht. Doch wieder einmal sieht es so aus, als wenn man in Japan durch die Zusammenarbeit zwischen dem Ministry of Trade and Industry (Miti) und der Wirtschaft auf dem Erfolgsweg ist, während Deutschland den Anschluß an die internationale Spitze einmal mehr zu verlieren droht. Ein zeitlich unbefristetes Photovoltaik-Förderprogramm mit derzeit rd. 50 Mio DM pro Jahr ist in Japan mit dem Ziel aufgelegt worden, die wirtschaftliche Massenproduktion von Solarzellen zu ermöglichen. Mit den kleinen Solarzellen winken die Aussichten auf einen gigantischen Exportmarkt, vor allem in den Nichtindustrieländern. 

Nicht zuletzt die kausale Verknüpfung zwischen Kernenergie und regenerativen Energien lähmt in Deutschland die industriepolitischen Handlungsoptionen und führt zur politischen Polarisation der Gesellschaft mit der Folge, daß eine Diskussion der erneuerbaren Energiequellen fast immer im Kreuzfeuer des politischen Farbenspiels erfolgt. Um allerdings die Märkte der Zukunft mit Schlüsseltechnologien bedienen zu können, müssen heute schon die Entwicklungsgrundlagen geschaffen werden. 

Riskiert man einen Blick in das 21. Jahrhundert, dann dürfte die bevorstehende physische Verknappung fossiler Energieträger ein ernstzunehmendes Problem werden. Tatsächlich wird mit der Nutzung unserer einmaligen und unwiederbringlichen fossilen Energiereserven in einem atemberaubenden Tempo ein gigantisches geophysikalisches Feuerwerk abgebrannt. Selbst wenn der Leser Reservezeiträume einzelner Energieträger von 30 oder 50 Jahren noch als beruhigend empfindet, ein eigener retrospektiver Blick relativiert schlagartig den nur scheinbar weit entfernten Zukunftshorizont. 

Wenn selbst die strategisch ausgerichtete Royal Dutch/Shell-Gruppe für das 21. Jahrhundert einen deutlichen Rückgang der fossilen Energieträger und eine Zunahme des Anteils an regenerativen Energien prognostiziert, dann erscheint die energiewirtschaftliche Richtung klar zu sein. Bleibt zu hoffen, daß in Deutschland die industriepolitischen Weichen rechtzeitig gestellt werden. 

e-mail an: fgwind@uni-muenster.de