02.06.2016, 11:41 Uhr

Reaktionen auf Energiewende-Beschlüsse: "Klärungsbedarf", "Sündenfall", "Abschaffung des EEG"

Berlin – Die Reaktionen auf die Beschlüsse und Kompromisse zur Energiewende, die die Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder am Dienstagabend ausgehandelt hatte, sind vielschichtig und teilweise heftig. Die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer (SPD) sieht weiteren Klärungsbedarf, der VDMA spricht von einem Sündenfall und Eurosolar von der Abschaffung des EEG.

Nach dem Energiewende-Gipfel erklärten die Beteiligte, dass man für die Windenergie an Land auf einen Zubau von 2.800 Megawatt (MW) jährlich festgelegt habe. Im Bereich Solarenergie sollen nach wie vor 2.500 MW Leistung pro Jahr neu entstehen. Keine Einigung wurde hingegen bislang für den Ausbau der Biomasse erzielt. Einige Branchenverbände haben zudem für heute zu einer Groß-Demonstration und Kundgebung in Berlin aufgerufen.

Scheer: Energiewende jetzt auf Mobilität und Wärme ausdehnen

Die schleswig-holsteinische Bundestagsabgeordnete Dr. Nina Scheer, Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Energie und Ansprechpartnerin für erneuerbare Energien in der SPD-Bundestagsfraktion, sieht weiteren Diskussions- und Klärungsbedarf. Scheer betonte: „Zu unseren Energiewende- und Klimaschutzzielen zählt als zentrales Element der Ausbau Erneuerbarer Energien – unter Wahrung der Akteursvielfalt als dem bis heute maßgeblichen Motor der Energiewende mit breiter Akzeptanz. Derzeit diskutierte Netzengpässe und Stromüberschüsse sind dabei eine Grundlage, die Energiewende auch auf die Bereiche Mobilität und Wärme auszudehnen. Es ist kontraproduktiv, in diesem Zusammenhang den Ausbau der erneuerbaren Energien in Frage zu stellen, wie dies verstärkt aus den Reihen des Koalitionspartners gefordert wird.“ Dies schade dem Wirtschaftsstandort Deutschland, so Nina Scheer, Tochter des langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten und Erneuerbare-Energien-Vorkämpfers Hermann Scheer.

Sündenfall: VDMA warnt vor Sonder-Einschnitten bei Onshore-Windenergie

Der VDMA sieht die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der Bund-Länder-Verhandlungen zum EEG 2016 als politisches Zwischenergebnis, das den Ausbau erneuerbarer Energien in echten Wettbewerb überführen und die Mengen gezielt steuern soll. Die vorläufige Vereinbarung beinhalte aber schwierige Kompromisse wie das eng begrenzte Ausschreibungsvolumen für Windenergie auf See und den „ordnungsrechtlichen Sündenfall der Sonderbelastung“ für weit entwickelte Projekte bei der Windenergie an Land. Matthias Zelinger, Geschäftsführer VDMA Power Systems und energiepolitischer Sprecher im VDMA: „Richtig glücklich wird kaum jemand sein mit dem Ergebnis der Bund-Länder-Verhandlung zum Erneuerbare–Energien-Gesetz, wir sind es auch nicht. Wie belastbar die Verhandlungsergebnisse sind, ist unklar, und der Bundestag beginnt erst jetzt mit seinen Beratungen. In der jetzigen Situation sind aber Kompromisse zwischen den Ausbauambitionen und den von vielen gesehenen Belastungen des Netzes und des Systems notwendig.“

Die kommunizierte Festlegung der Ausschreibungsmenge von 2.800 Megawatt für Windenergie an Land ist laut VDMA nicht das, was dauerhaft für eine ambitionierte Energiewende nötig sei. Wenn man die Festlegung aber zunächst bis etwa 2020 beurteilt, erscheine sie als ein logischer Kompromiss, mit dem die Hersteller umgehen müssten.

VDMA: Offshore-Volumen zu gering – Bioenergie-Einigung so schnell wie möglich

Lars Bondo Krogsgaard, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands von VDMA Power Systems und CEO der Nordex SE: „Schwierig ist eine Sonderdegression, diese würde Projekte betreffen, die bereits weit entwickelt sind und würde damit auch Auswirkungen auf die Unternehmensplanung haben.“ Der Sündenfall ist laut VDMA, dass ordnungspolitisch fragwürdig in die vor nicht einmal zwei Jahren festgelegten Rahmenbedingen eingegriffen wird. Das gefährde die Projektpipeline der Hersteller massiv und werde gerade in 2017 zu großen Problemen führen. Hier müsse im parlamentarischen Verfahren eine bessere Lösung gefunden werden. Der aktuelle Kompromiss sieht eine Sonderdegression von fünf Prozent vor für Projekte, die nach dem 1. Juni 2017 realisiert werden. Laut Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sollen so Vorzieheffekte vermieden werden.

Bei der Offshore-Windenergie sind die offenbar weiterhin für die 2020er-Jahre vorgesehenen jährlichen Ausschreibungsmengen von 730 Megawatt aus Sicht des VDMA voraussichtlich zu gering, um Deutschland auch für die Offshore-Windindustrie als Leitmarkt zu festigen. Die ausstehende Einigung bei der Bioenergie müsse nun so schnell wie möglich erreicht werden. Die Bioenergie kann aus Sicht des VDMA als steuerbare erneuerbare Energie einen wichtigen Systembeitrag leisten. „Sie sollte daher eine klare Perspektive im System erhalten“, sagte Zelinger.

Eurosolar findet Kompromissweg undemokratisch

Bei der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien Eurosolar e. V. (Eurosolar) wird unter anderem die Art und Weise der Entscheidungsfindung kritisiert. Eurosolar-Vizepräsident Dr. Fabio Longo kommentierte: „Die außerparlamentarische undemokratische Einigung von Bund und Ländern auf die Abschaffung der Kernbestandteile des EEG und die Einführung verheerender Ausschreibungen bedeutet eine historische Zäsur für die Energiewende. Die Regierungschefs der Länder haben gestern einer Politik der Bundesregierung die Hand gereicht, die schweren Schaden für die meisten Regionen in Deutschland bringen, die Kosten für Verbraucher steigern und die Energiewende abwürgen wird.“ Das EEG sei das erfolgreichste Wirtschaftsgesetz der Bundesrepublik. Es führe Deutschland in starken Schritten aus der Importabhängigkeit von fossilen Energien aus unsicheren Weltregionen und mache stattdessen heimische Regionen zum Standort für Energieproduktion, so Longo. Damit habe es bereits nach wenigen Jahren 400.000 Arbeitsplätze geschaffen und Deutschland zum Technologieführer gemacht. Alle diese volkswirtschaftlichen Vorteile seien nun akut in Gefahr, meint der Eurosolar-Vizepräsident.

Quelle: IWR Online

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