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Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 05.01.1996


BVerwG 4 B 306.95
OVG 1 L 165/95

BUNDESVERWALTUNGSGERICHT

BESCHLUSS

In der Verwaltungsstreitsache

hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 5. Januar 1996 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gaentzsch und die Richter Prof. Dr. Dr. Berkemann und Halama beschlossen:

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. Juli 1995 wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 100 000 DM festgesetzt.

Gründe :
I .

Der Kläger erstrebt die Genehmigung für die Errichtung einer Windkraftanlage im Kronprinzenkoog (Dithmarschen). Der beklagte Landrat versagte dies. Das Verwaltungsgericht gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sieht in der Anlage ein "sonstiges vorhaben" im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB. Angesichts der bereits vorhandenen Anlagen trete eine weitere Beeinträchtigung der Landschaft nicht ein. Andere Öffentliche Belange würden nicht beeinträchtigt. Die Erschließung sei gesichert. Mit seiner Beschwerde begehrt der Beklagte die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, daß die geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr.1 VwGO erfüllt sind.

1. Der Beklagte wendet sich gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Erschließung sei gesichert. Er macht geltend, das zuständige Energieversorgungsunternehmen weigere sich aus Kapazitätsgründen, den durch die Windenergieanlage erzeugten Strom einzuspeisen. Daher sei eine ausreichende Erschließung nicht gesichert. Dieses Vorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

Der Beschwerde ist zuzugestehen, daß der bundesrechtliche Begriff der Erschließung, wie ihn § 35 Abs. 1 BauGB benutzt und wie er auch für "sonstige Vorhaben" gilt, nicht in allen Einzelheiten festliegt. Der vorliegende Fall ist jedoch nicht geeignet, zu einer weiteren Klärung des Begriffs beizutragen. Es ist bereits geklärt, daß die erforderliche Erschließung vorhabenbezogen zu sein hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 1985 - BVerwG 4 C 48.81 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr.228 = DVB1. 1985, 1986). Es kommt also darauf an, ob gerade für die Nutzung der Windenergieanlage eine bestimmte Erschließung erforderlich ist. Das ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ausreichend der Fall.

Entgegen der Ansicht des Beklagten gehört der Anschluß der Windenergieanlage an ein Verbundnetz zum Zwecke der Stromeinspeisung nicht zum bauplanungsrechtlichen Inhalt der Erschließung. Diese Frage besitzt auch keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie ohne weiteres mit den Mitteln üblicher Auslegung beantwortet werden kann. Jede Erschließung soll "flankierend" gewährleisten, daß eine beabsichtigte Nutzung des Grundstücks angemessen möglich ist. Es soll der Anschluß des Grundstücks an die Infrastruktur in einem durchaus weiten Sinne gewährleistet werden.

Zur Erschließung gehört indes nicht die beabsichtigte Nutzung selbst. Ob diese als solche - z.B. bauplanungsrechtlich oder bauordnungsrechtlich - zulässig ist, ist demgemäß keine Frage der Erschließung. Noch weniger eine Frage baurechtlicher Zulässigkeit ist es, ob die beabsichtigte Nutzung aus Ökonomischen Gründen erfolgversprechend ist. Das öffentliche Baurecht reguliert nicht, ob ein Vorhaben bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise "sinnvoll" ist. Derartige Entscheidungen überläßt es grundsätzlich dem Eigentümer, der sein Grundstück "verwerten" will. Es wäre mit Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG schwerlich zu vereinbaren, wenn die Bauaufsichtsbehörde ohne gesicherte Rechtsgrundlage mittelbar hier eine Kontrolle wirtschaftlicher Vernunft übernehmen dürfte. Ihr Auftrag ist - neben der Gemeinde, vgl. § 1 Abs. 3 BauGB - die Durchsetzung städtebaulicher Ziele. Ergibt sich also, daß eine an sich baurechtlich zulässige Nutzung keinen Gewinn erbringen wird, so überläßt es das öffentliche Baurecht der Entscheidung des Eigentümers, ob er gleichwohl an dem Vorhaben festhalten will (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Februar 1995 - BVerwG 4 C 23.94 - NVWZ 1995, 894). Es ist damit zugleich das wirtschaftliche Risiko der Entscheidung des Eigentümers, der an seinem Vorhaben festhalten will. Ob daher der Kläger mit der von ihm zu errichtenden Windenergieanlage unter den gegebenen tatsächlichen Umständen eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung treffen wird, gehört nicht zur Entscheidungskompetenz der beklagten Behörde. Es ist allein Sache des klagenden Eigentümers sich zu fragen, ob er einen geltend gemachten Anspruch auf Aufnahme des erzeugten Stroms nach Maßgabe des Gesetzes über die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien in das öffentliche Netz (Stromeinspeisungsgesetz) vom 7. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2633) nach der gegenwärtigen Rechtslage durchsetzen kann. Daß dies angesichts der abwehrenden Haltung des beteiligten Energieversorgungsunternehmens tatsächlichen Zweifeln unterliegt, mag dem Beklagten zugestanden werden. Indes betreffen diese Zweifel nicht Rechtsfragen des Öffentlichen Baurechts.

Soweit die Rechtsprechung in der Frage, ob ein landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb vorliegt, auch auf einen hinreichend gesicherten Ertrag abstellt, dient dies nur der Beurteilung, ob überhaupt ein landwirtschaftlicher "Betrieb" im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB vorliegt. Nur unter dieser Voraussetzung will der Gesetzgeber es nämlich hinnehmen, daß das von ihm kraft Gesetzes privilegierte Vorhaben zu einer Beeinträchtigung des Außenbereichs führt oder doch führen kann. Eine derartige Beeinträchtigung hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall nach Maßgabe der bestehenden tatsächlichen Umstände indes gerade ausgeschlossen. Soweit der Beklagte darauf hinweist, daß der Außenbereich möglichst zu schonen ist, ist eine derartige Forderung zwar berechtigt. Der Gesetzgeber hat dies - wie § 35 Abs. 5 BauGB zeigt - aber nicht zu einem selbständigen Verbotstatbestand ausgestaltet.

2. Die Beschwerde hält es ferner für eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob das beabsichtigte Vorhaben deshalb als unwirtschaftlich im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1, 3. Spiegelstrich BauGB anzusehen sei, weil die mit der Anlage verbundene Netzerweiterung ein Investitionsvolumen von mindestens 135 Millionen DM auslösen würde. Auch dieses Vorbringen rechtfertigt keine Zulassung der Revision.

Die Errichtung der beabsichtigten Windenergieanlage und deren gebotene Erschließung erfordern - den Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß - keine weiteren Aufwendungen. Daß eine ökonomische Nutzung in einer Gesamtbetrachtung weitere Investitionen verlangt und diese den Kapitaleinsatz der Anlage bei weitem übersteigt, ist zwar gewiß eine sinnvolle wirtschaftliche Betrachtungsweise. Sie mögen der Kläger als Eigentümer und das betroffene Energieversorgungsunternehmen anstellen. Jedoch ist die Zielsetzung des in § 35 Abs. 3 Satz 1, 3. Spiegelstrich BauGB erfaßten öffentlichen Belangs eine andere. Die Aufwendungen, welche diese Vorschrift meint, sind vor allem solche der Erschließung. Der Erschließungsträger soll davor bewahrt werden, zu einer (weiteren) Erschließung gedrängt zu werden, die zu dem städtebaulichen Nutzen in keinem angemessenen Verhältnis steht. Das gilt auch für die Unterhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs einer Erschließungsanlage. So liegt es hier - wie erörtert - aber nicht. Die Erschließung ist nach den berufungsgerichtlichen Feststellungen hinreichend gesichert. Weitere Aufwendungen sind danach ersichtlich nicht erforderlich.

Ob es für das beteiligte Energieversorgungsunternehmen wirtschaftlich vernünftig ist, eine bestimmte Investition zu tätigen, und ob eine negative Entscheidung des Unternehmens den Kläger als Betreiber der Windenergieanlage benachteiligt, sind keine Fragen, die gerade als öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 2 und 3 Satz 1 BauGB zu beachten sind. Derartige Entscheidungen mögen gewiß mittelbare Wirkungen haben. Daraus folgt indes nicht umgekehrt, daß hieraus ein Verbotstatbestand zum Nachteil einer an sich bauplanungsrechtlich zulässigen Nutzung abzuleiten ist. Der Beklagte wiederholt mit seinem Vorbringen insoweit auch nur, daß es nach seiner Ansicht wirtschaftlich unvernünftig ist, wenn der Kläger bei der gegebenen Situation an der Realisierung seines Vorhabens festhält. Indes muß dies - wie dargelegt - der Entscheidung des Klägers überlassen bleiben, solange eine gesetzliche Bestimmung ihn insoweit nicht in seiner Entscheidungsfreiheit einschränkt.

3. Der Beklagte trägt schließlich vor, das Berufungsgericht habe verkannt, daß dem klägerischen Vorhaben der öffentliche Belang der Erforderlichkeit einer Planung entgegenstehe. Bei dem Vorhandensein von mehr als 30 Windenergieanlagen stelle sich die Frage einer sinnvollen Planung. Das "Planungserfordernis" sei in der Rechtsprechung als ein öffentlicher Belang anerkannt, der durch ein sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt werden könne. Dieses Vorbringen ergibt ebenfalls nicht, daß der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage ist bereits hinreichend geklärt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 16. Juni 1994 - BVerwG 4 C 20.93 - (BVerwGE 96, 95 = NVWZ 1995, 64) die Frage der "Außenkoordination" als ein erörterungsfähiges Planungserfordernis behandelt und entschieden. Bei Windenergieanlagen handelt es sich zwar in der Tat nicht um singuläre Erscheinungen. Es zeichnet sich bei ihnen weithin eine Entwicklung mit erheblicher Breitenwirkung ab, die sich nicht allein mit Hilfe des beschränkt durchschlagskräftigen Korrektivs entgegenstehender öffentlicher Belange in städtebaulich geordnete Bahnen lenken läßt. Ob, wo und in welchem Umfang Windkraftanlagen im Außenbereich gehäuft errichtet werden sollen, bleibt jedoch gemeindlicher oder regionaler Planungsentscheidung vorbehalten. Solange - aus welchen Gründen immer - kein Gebrauch von dem planerischen Instrumentarium gemacht wird, richtet sich die Zulassung im Einzelfall nach § 35 Abs. 2 BauGB.

Soweit bei einem Vorhaben im Außenbereich eine Koordination nach außen notwendig ist, bedarf es regelmäßig keiner förmlichen Planung, die sich als Zulassungshindernis erweisen könnte. Denn die Außenkoordination wird grundsätzlich durch die in § 35 Abs. 3 BauGB angeführten öffentlichen Belange gewährleistet, zu denen nicht zuletzt die Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen, der Naturschutz sowie das Verbot der Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart oder der Erholungsfunktion der Landschaft gehören (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. April 1987 - BVerwG 4 C 43.84 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 118; vgl. auch Beschluß vom 27. Juni 1983 - BVerwG 4 B 201.82 - Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr, 204). Daß es nach dem Vorbringen des Beklagten in einem weiteren Umkreis zahlreiche Windenergieanlagen gibt - sei es im Gemeindegebiet, sei es in den benachbarten Gemeinden - rechtfertigt keine abweichende Beurteilung der Frage der Planungsbedürftigkeit. Der Maßstab, der an das einzelne, zur Genehmigung gestellte Vorhaben anzulegen ist, verändert sich nicht dadurch, daß die Genehmigungsbehörde sich mit zahlreichen Vergleichsfällen konfrontiert sieht. Im Rahmen des vom Kläger eingeleiteten Verfahrens ist die bebauungsrechtliche Zulässigkeit eines konkreten Einzelvorhabens zu beurteilen. Daß dieses Vorhaben sich - als Teil eines Anlagenkomplexes - die Wirkungen sonstiger Windenergieanlagen zurechnen lassen muß, ändert hieran nichts. Ein anderes Verständnis ließe außer acht, daß § 35 Abs. 2 BauGB unter den dort genannten Voraussetzungen Vorhaben im Außenbereich gerade unabhängig von förmlicher Planung unmittelbar kraft Gesetzes gestatten will. Daß eine Vielzahl von vorhandenen Anlagen und weitere Genehmigungsanträge der Gemeinde im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB Veranlassung geben können, einen Bauleitplan aufzustellen, darf nicht mit einem Planungserfordernis als öffentlicher Belang im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB gleichgesetzt werden. Sieht die Gemeinde planerischen Handlungsbedarf, so kann sie sich der Sicherungsmittel bedienen, die ihr die Vorschriften des Zweiten Teils des Ersten Kapitels des Baugesetzbuches zur Verfügung stellen. Macht sie hiervon keinen Gebrauch, so läßt sich der Sicherungserfolg nicht durch eine erweiternde Auslegung des § 35 Abs, 3 BauGB herbeiführen. Insoweit sind der beklagten Bauaufsichtsbehörde "die Hände gebunden".

Auch eine überörtliche Regionalplanung, die bei der Beurteilung der öffentlichen Belange eine Rolle spielen könnte (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB), besteht nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht. Der vom Beklagten mittelbar angesprochene Handlungsbedarf auf der Ebene der Landesplanung läßt sich ebenfalls nicht als öffentlicher Belang einstufen, an dem das Vorhaben des Klägers scheitern kann.

35 Abs. 3 Satz 3, 1. Halbsatz BauGB setzt landesplanerische Vorgaben mit Zielqualität (vgl. § 5 Abs. 2 - 4 ROG) voraus. Daran fehlt es derzeit noch. Dies kann auch nicht durch ministerielle Richtlinien ersetzt werden, die zudem in erster Linie energiepolitisch motiviert sein dürften. Ist die Aufstellung von Zielen der Raumordnung und Landesplanung eingeleitet, so kann die für die Raumordnung zuständige Landesbehörde nach § 7 Abs. 1 ROG raumbedeutsame Planungen, die Gemeinden als sonstige Stellen im Sinne des § 4 Abs. 5 ROG beabsichtigen, für eine bestimmte Zeit untersagen, wenn zu befürchten ist, daß die Durchführung der Ziele unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert wird. Eine solche Untersagung erzeugt indes keine unmittelbare Rechtswirkung gegenüber einzelnen Bauinteressenten. Für sonstige Maßnahmen der für die Landesplanung zuständigen Behörde im Stadium der Zielerarbeitung trifft dies erst recht nicht zu. Derartige Planungsaktivitäten sind nicht geeignet, sich im Rahmen des § 35 BauGB positiv oder negativ auf die Zulassung eines Einzelvorhabens auszuwirken (vgl. hierzu näher das angeführte Urteil vom 16. Juni 1994 - BVerwG 4 C 20.93 - BVerwGE 96, 95 = NVWZ 1995, 64).

Die Notwendigkeit einer weiteren Klärung derartiger Fragen ist dem Vorbringen der Beschwerde nicht zu entnehmen. Soweit die Beschwerde auf die Besonderheiten des Gebietes der Gemeinde im Kronprinzenkoog hinweist, erörtert sie Umstände des Einzelfalles. Die von ihr angegebenen Literaturstimmen, die sie zu Gunsten ihrer Rechtsauffassung anführt, konnten das Urteil des beschließenden Senats vom 16. Juni 1994 nicht berücksichtigen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Gaentzsch
Berkemann
Halama

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