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Grüner Strom - ein kundenorientiertes Angebot in einem liberalisierten Marktumfeld  

aus: Allnoch, N. (1998): Grüner Strom - ein kundenorientiertes Angebot in einem liberalisierten Marktumfeld. In: Tagungsband „5. Fachkongreß renergie 98", S. 11- 16.


Mit dem Inkrafttreten des neuen Energiewirtschaftsgesetzes am 29.04.1998 [1] ist bereits gut ein Jahr vor Ablauf der Frist (Februar 1999) die Umsetzung der EU-Binnenmarkt-Richtlinie Elektrizität [2] in nationales Recht erfolgt. Die mit der Liberalisierung verbundene Grundintention ist die Öffnung der bisherigen festen Bindung zwischen Anbieter und Nachfrager und damit die Schaffung eines Wettbewerbsmarktes. Weil die Marktteilnehmer jedoch fast immer bereits auf Ankündigungen und damit im Vorfeld des später eintretenden Ereignisses reagieren und handeln, ist die Strombranche schon lange vor der realen Marktöffnung in Bewegung geraten. Das Ziel dieses Beitrages ist eine Beschreibung der sichtbaren Effekte auf dem Energiemarkt infolge der Änderung des ordnungspolitischen Handlungsrahmens, insbesondere der Reaktionen von Stromversorgungsunternehmen im Hinblick auf den Einsatz regenerativer Energien.

Liberalisierung und die Reaktionen der Stromwirtschaft

Eine frühe Reaktion der Energieversorgungsunternehmen (EVU) aufgrund der beabsichtigten Neugestaltung der Rahmenbedingungen für die Stromwirtschaft war der schrittweise Wandel von einer weitgehend statischen hin zu einer dynamisch geprägten Unternehmenskultur. Der zunehmende Wettbewerb erfordert in erster Linie neben einer permanenten Überprüfung der strategischen Unternehmensausrichtung und Marktposition ein hohes Maß an Flexibilität, eine zukunftsorientierte Weichenstellung und eine eng damit korrespondierende Einleitung von Anpassungsprozessen. Nachdem zunächst der vor allem von den großen EVU vorgenommene Einstieg in branchenfremde Bereiche (Entsorgung, Telekommunikation, etc.) zwecks Diversifizierung stattgefunden hatte, folgte nicht selten im Zuge der Restrukturierung der Unternehmen die Einführung von Holding-strukturen. Wie bereits in anderen Industriebranchen erkennbar, so ist auch auf dem Stromsektor ein verstärktes globales Engagement der Energieunternehmen aufgrund der zunehmenden Internationalisierung der Energiemärkte zu beobachten. Ein Hauptziel der zunehmenden Kooperationen und verstärkten Auslandsakquisitionen dürfte es sein, das Unternehmensportfolio gezielt zu erweitern und sich damit strategische Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Parallel zu diesen Aktivitäten verlaufen entsprechende Anpassungsprozesse innerhalb der Unternehmen aufgrund der sich auch in Zukunft stets ändernden Marktverhältnisse. Kosteneinsparungsprogramme zur Erreichung der vielfach angestrebten Kostenführerschaft und die Rückführung von Investitionen aufgrund vorhandener Kapazitätsüberhänge tragen zu einer höheren Eigenkapitalrendite bei, insbesondere um an den Kapitalmärkten mittel- und langfristig neue Finanzmittel für das weitere Unternehmenswachstum zu erhalten. Letztendlich werden neue Organisationsstrukturen mit einer stärkeren Kunden- und Dienstleistungsorientierung installiert, die den Wandel vom Energieversorgungsunternehmen zum Energiedienstleistungsunternehmen sichern sollen.

Spannungsfeld regenerative Energien

Während zukünftig einerseits die Rahmenbedingungen für den gesamten konventionellen Energiesektor auf Wettbewerb ausgerichtet sind, besteht andererseits parallel hierzu der politische Wille, den Beitrag der regenerativer Energiequellen und den der Kraft-Wärme-Kopplung an der Energieversorgung weiter zu erhöhen. Der Anteil erneuerbarer Energien hat zwar in den letzten Jahren deutliche Zuwächse erfahren können, allerdings ist bisher noch keine selbsttragende Entwicklung erkennbar. Insofern wird sich vermutlich unter veränderten Randbedingungen die Diskussion über die Maßnahmen zur stärkeren Nutzung regenerativer Energien auch dann verschärfen, wenn der „spread" zwischen konventionellen und regenerativen Energieerzeugungskosten deutlich zunehmen sollte. Die verfügbaren Instrumente zur Wachstumssteuerung des Einsatzes erneuerbarer Energien können in zwei Gruppen eingeteilt werden:

1. staatliche Instrumente,

2. privatwirtschaftliche Instrumente.

In der Vergangenheit haben vor allem staatliche Instrumente (Förderprogramme des Bundes und der Länder, das Stromeinspeisungsgesetz, etc.) eine Zunahme des Anteils regenerativer Energien bewirkt. Insbesondere das „Stromeinspeisungsgesetz", das nunmehr als Artikel 3 in das neue Energiewirtschaftsartikelgesetz eingebunden wurde, hat zweifelsohne entscheidend zu dieser Entwicklung beigetragen. Auf der anderen Seite stehen vermehrt rein privatwirtschaftliche Instrumente zur Verfügung, beispielweise spezielle Beteiligungs- und Förderprogramme oder die „grünen Stromangebote" der Stromwirtschaft. Mit Blick auf die sich ändernden Rahmenbedingungen scheint auch ein Instrumentenmix denkbar, indem beispielsweise durch die Vorgabe einer Mindesquotierung (Staat) und den Einsatz von Handelszertifikaten (Privatwirtschaft) beide Elemente kombiniert werden können[3].

Grüner Strom im Rahmen der Angebotspolitik der Stromwirtschaft

Erst im Zuge der Deregulierung und Marktliberalisierung wird EVU-Kunden angeboten, Strom aus einzelnen erneuerbaren Energiequellen (Wind-, Wasser, Solar-, Bio- oder Geoenergie) oder einem Mix daraus zu beziehen. Kernbestandteil dieser Angebote ist die umweltfreundliche „Stromlieferung", wobei die EVU die Planung, den Bau und den Betrieb der Anlagen übernehmen (anbieterorientiert). Im Unterschied hierzu setzt die Kosten-deckende Vergütung (KV) beim Kunden bzw. Verbraucher an, der beispielsweise die Errichtung eine PV-Anlage zunächst in Eigenleistung übernimmt (verbraucherorientiert).

Bisher sind sehr unterschiedliche Modelle für „grüne Stromangebote" bekannt, die sich aber im wesentlichen in drei Kategorien mit verschiedenartigen Grundprinzipien einteilen lassen [4,5]:

- Grüne Tarife (Verbrauchs-Prinzip),

- Fonds-Modelle (Spendenprinzip),

- Beteiligungs-Modelle (Investitions-Prinzip).

Neben den tarifgebundenen EVU-Angeboten sind auch die anderen Varianten wie die Beteiligungs- oder Fondsmodelle stets mit dem Ziel verbunden, den Kunden parallel zum konventionellen Energiemix Strom aus erneuerbaren Energiequellen anzubieten oder die Möglichkeit einzuräumen, mit einem eigenen freiwilligen Beitrag den zusätzlichen Bau von regenerativen Anlagesystemen zu unterstützen. Nach einer internationalen Untersuchung zu den „grünen Stromtarifen" [4] existierten im Jahr 1996 über vierzig derartige Programme, vor allem in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten. Die Studie kommt weiterhin zu dem Ergebnis, daß sich allerdings meist weniger als 1% der Kunden beteiligen, wenngleich in Einzelfällen bis zu 3 % erreicht werden [4].

Grundsätzlich ist absehbar, daß mit dem zunehmenden Wettbewerb und in Analogie zu anderen Branchen die Aktivitäten der Energieversorgungsunternehmen stärker unter dem Blickwinkel der Marktorientierung und damit auch des Marketings einzuordnen sind. Die Anforderungen an eine marktorientierte Unternehmensführung nehmen insbesondere deshalb zu, weil zukünftig auf dem gesamten Energiesektor der Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt erwartet wird. Die neuen Unternehmensziele beinhalten daher vielfach neben der Erschließung neuer Geschäftsfelder eine stärkere Markenpolitik bzw. die Erhöhung der Kundenbindung durch neue Produkt- und Dienstleistungsangebote. Auf der Basis von Unternehmenszielen werden typischerweise strategische Marketingplanungen entwickelt und diese im Rahmen des operativen Marketings umgesetzt. Je nach Präferenz kommt in diesem Zusammenhang üblicherweise die 4er- oder 3er-Instrumentalsystematik zum Einsatz. Im Mittelpunkt der letzeren Einteilung stehen:

- die Angebotspolitik,

- die Distributionspolitik,

- die Kommunikationspolitik.

Um eine bessere Kundenbindung zu erzielen, wird im Rahmen der Angebotspolitik vielfach die Erweiterung des bestehenden Leistungsangebotes um neue zielgruppenspezifische Produkte und Dienstleistungen oder das Schnüren von zusätzlichen „Leistungspaketen" diskutiert. Eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung gezielter Produktangebote ist die Kenntnis von Kundenwünschen, basierend auf der im Rahmen des Kundensegmentmanagements durchzuführenden Bildung homogener Zielgruppen. Das Produkt „grüner Strom" bietet sich insbesondere dazu an, einerseits ein positives Unternehmensimage aufzubauen und andererseits eine positive Kundenbindung für eine konkrete Zielgruppe zu erreichen.

Fazit/Ausblick

Mit dem neuen Energiewirtschaftsgesetz sind die Weichen grundsätzlich auf Wettbewerb gestellt. Die Folge ist, daß sich die Stromversorgungsunternehmen neu ausrichten und mit einem ganzen Maßnahmebündel auf die sich ändernden Marktverhältnisse reagieren. Dabei liegt der Schwerpunkt der EVU-Aktivitäten in Erwartung eines stärkeren Preiswettbewerbs auf dem Gebiet der Kostenreduzierung und der strategischen „Aufstellung" im Markt. Die „grünen Stromtarife" sind vor allem das Ergebnis geänderter Organisationsstrukturen im Zusammenhang mit einer stärkeren Kunden- und Dienstleistungsorientierung. Sie stellen ein privatwirtschaftliches Instrument der Stromwirtschaft dar, mit dessen Hilfe den Kunden parallel zu dem jetzigen Energiemix Strom aus erneuerbaren Energiequellen angeboten werden kann. Zwar haben die EVU-Kunden erstmals die Möglichkeit, direkt auf Investitionsentscheidungen der Versorgungsunternehmen Einfluß zu nehmen, gleichwohl können sich derzeit aufgrund der festen Bindung der Kunden an die EVU noch keine realen Marktpreise für „grüne Angebote" bilden. In bezug auf den Erfolg eines verstärkten Einsatzes regenerativer Energiequellen verbietet sich jedoch ein direkter Vergleich zwischen staatlichen und privatwirtschaftlichen Instrumenten, da die EVU-Aktivitäten letztendlich nur einen Teil derjenigen Reaktionen darstellen, die von der Änderung des ordnungspolitischen Handlungsrahmens ausgegangen sind.

Literatur

[1] Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts. In: Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1998, Teil 1, Nr. 23, S. 730 - 736.

[2] Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 für den Elektrizitätsbinnenmarkt. In: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften v. 30. Januar 1997, Nr. L 27/20 - L 27/29.

[3] Allnoch, Norbert (1997): Zur ökonomisch-ökologischen Implementierung von regenerativ erzeugtem Strom: Modellvorschlag "Verhandelbarer Ökostrom". Vortrag am 24.06.1997 auf dem 7. Sommersymposium "Energie und Umwelt" der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster.

[4] Markard, Jochen (1997): Green Pricing, Diplomarbeit an der Fachhochschule Darm-stadt.

[5] Weller, Thyge (1998): Green Pricing: kundenorientierte Angebote der Elektrizitätswirtschaft. In: Zeitschrift für Energiewirtschaft (ZfE), 22. Jahrgang, Heft 1, S. 58 - 70.


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