"Nur im erssten Moment ist für alle Verbraucher der Preis das entscheidende
Argument"
FACT and VISION-Interview
mit Dr. Norbert Allnoch v. 30.08.1999
FAV: In Deutschland hat die Nutzung regenerativer Energien in den
letzten Jahren einen deutlichen Wachstumsschub erfahren. Was sind die Ursachen
hierfür? Wie sieht die Entwicklung aus, wenn man die einzelnen Energietechnologien
gesondert betrachtet?
Das stimmt, wenngleich man grundsätzlich zwischen
den Bereichen Strom, Wärme und Verkehr (z.B. Biodiesel) sowie den
Energiequellen wie Wind, Solar, Wasser- und Bio- und Geoenergie unterscheiden
muß. Auf dem Stromsektor ist die Ursache für die dynamische
Entwicklung das Stromeinspeisungsgesetz (StrEG), das vor allem bei der
Windenergie zu einem deutlichen Wachstumsschub geführt hat. Der PV-Solarmarkt
hingegen konnte sich beispielsweise aufgrund des hohen Kapitalbedarfs für
den Bau von Solarzellenfabriken und der unsicheren Absatzchancen nicht
so positiv entwickeln. Die Wasserkraft wiederum ist ja seit langem etabliert
und der Ausbau unterliegt in Deutschland vor allem naturschutz- und baurechtlichen
Hemmnissen. Im Wärmebereich konnten wir in den vergangenen Jahren
bei den solarthermischen Kleinanlagen (Hausanlagen) eine jährliche
Wachstumsrate von 20 - 30 Prozent verzeichnen. Hier erwarte ich durch das
neue Förderprogramm des Bundeswirtschaftsministeriums und die deutlich
gestiegenen Ölpreise einen weiteren erheblichen Wachstumsschub. Im
Verkehrsbereich hat die Produktion von Biodiesel ein Volumen von 100.000
Tonnen pro Jahr erreicht. Vor allem die Biodieseltauglichkeit in Serienfahrzeugen
wie beispielsweise bei VW und Audi führt zu weiteren Produktionssteigerungen.
Mittelfristig ist eine jährliche Produktion von etwa 300.000 Tonnen
Biodiesel zu erwarten.
FAV: Gehen Sie mit denjenigen Stimmen konform, die dennoch eine
Novellierung des Stromeinspeisungsgesetzes fordern? Wie sollten solche
Änderungen Ihrer Ansicht nach aussehen?
Die Konzeption des Gesetzes als reines Preismodell war unter den Monopolbedingungen
das richtige energiepolitische Instrument, wenngleich das Ziel der gleichmäßigen
Kostenverteilung nicht erreicht wurde. Ein modifiziertes StrEG sollte einerseits
die Ungleichgewichte zwischen den jetzt abnahmepflichtigen Netzbetreibern
beseitigen und gleichzeitig verhindern, daß es zu einem Entwicklungsbruch
beim Ausbau der regenerativen Energien durch fehlende Planungssicherheit
bei den Investoren kommt. Denkbar ist ein kombiniertes
Preis-/ Mengenmodell mit einem Ausgleich über Handelszertifikate.
Wesentliche Voraussetzung für den Erfolg marktwirtschaftlicher Modelle
sind
bessere Rahmenbedingungen für eine Vermarktung des produzierten
regenerativen Stroms durch die neuen Ökostromanbieter. Entscheidend
ist letztlich die Frage, ob eine vernünftige Regelung über die
Höhe der Durchleitungsgebühr oder besser ausgedrückt der
Netzbenutzungsgebühr zustande kommt.
FAV: Vielfach wird eine Quotenregelung für Strom aus regenerativen
Energiequellen gefordert. Wie stehen Sie zu dieser Forderung?
Es wird viel von Quote geredet und jeder definiert diese anders bzw.
meint einen anderen Adressaten. Bei der oft vorgetragenen Quotenregelung
handelt es sich um eine Ausschreibungsquote seitens der Stromversorger.
Solche Modelle sind aber nicht zielführend, denn sie führen aufgrund
der Kontingentierung weder zu einer kontinuierlichen Entwicklung noch kann
sich eine Industrie mit Arbeitsplätzen im eigenen Land entwicklen.
Dies zeigt das negative Beispiel Großbritannien eindringlich. Eine
solche Quotenregelung ist daher meiner Meinung nach abzulehnen.
FAV: Welchen maximalen Anteil an der Energieversorgung können
erneuerbare Energien in absehbarer Zeit Ihrer Meinung nach in Deutschland
bzw. in der EU erreichen?
Fakt ist, daß die EU eine Verdoppelung des momentanen EU-Anteils
erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2010 plant. Auch in Deutschland wird
über eine Verdoppelung bis zum Jahre 2010 nachgedacht. Eine Studie
mit dem Titel "Klimaschutz durch Nutzung erneuerbare Energien" im Auftrag
des Umweltbundesamtes, an der das IWR mitwirkt, ist gerade in Arbeit. Die
Umsetzung des Ziels wäre ein wichtiger Schritt und hätte für
die Investoren eine Signalwirkung in die richtige Richtung.
FAV: Wie steht Deutschland in bezug auf die Nutzung regenerativer
Energien im internationalen Vergleich da?
Deutschland steht im internationalen Vergleich eindeutig positiv da
und spielt eine führende Rolle beim Ausbau erneuerbarer Energien.
Bei der vergleichenden Betrachtung einzelner Länder muß man
neben dem Nutzungspotential auch die naturräumlichen Gegebenheiten
der einzelnen Länder berücksichtigen. So können beispielsweise
Norwegen und Österreich schon allein aufgrund der Topographie des
Landes einen hohen Anteil an Wasserkraft vorweisen. Es kommt letztendlich
darauf an, welche zusätzlichen Anstrengungen ein Land unternimmt.
FAV: Wie sehen Sie die Konkurrenzfähigkeit der deutschen
Stromproduzenten im Wettbewerb mit ausländischen Anbietern unter Berücksichtigung
der Förderung regenerativer Energie?
Die Konkurrenzfähigkeit deutscher Unternehmen in jedem Fall gegeben
ist. Was wir jetzt erleben, das ist ein brancheninterner nationaler Wettbewerb
zwischen den rd. 900 Stromversorgern in Deutschland. Wenn über Wettbewerbs-
und Konkurrenzfähigkeit diskutiert wird, dann ist auch zwischen der
physischen Stromlieferung und der Kapitalbeteiligung auf nationaler bzw.
internationaler Ebene zu unterscheiden. Im Bereich der physischen Stromlieferung
sehe ich die deutsche Position derzeit auch auf
internationaler Ebene noch nicht gefährdet. Allerdings kann sich
die ungleiche Umsetzung der EU-Richtlinie Elektrizität in den einzelnen
EU-Ländern zum Problem entwickeln. Deutschland hat den Markt mit der
Umsetzung der EU-Richtlinie im letzten Jahr bereits vollständig geöffnet,
während in Ländern wie Österreich oder Frankreich nur die
EU-Mindestanforderungen an die Marktöffnung umgesetzt werden soll.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang das Gerede um billigen Atomstrom,
etwa aus Frankreich. Wenn der französiche Strom wirklich so konkurrenzlos
billig ist, dann verstehe ich die französische Haltung nicht, die
an eine Öffnung des eigenen nationalen Strommarktes anscheinend gar
nicht denken möchte und die Umsetzung der EU-Richtlinie hinauszögert.
Aufgrund der in der EU-Richtlinie verankerten Reziprozitätsklausel
kann Frankreich, wenn es sich richtlinienkonform verhält, Strom eigentlich
nur an Kunden gleicher Verbrauchskategorie liefern. Die medienwirksame
Durchleitungsverweigerung der GEW für den französischen Strom
an Privathaushalte
verdeutlicht das eigentliche Problem. Man kann nicht von fairen Wettbewerbsbedingungen
reden, wenn das französische staatliche Stromversorgungsungernehmen
via eines deutschen Stromversorgers Strom an Privathaushalte liefert, während
umgekehrt der GEW die Stromlieferung an französische Privatkunden
aufgrund der Marktabschottungspolitik und fehlenden nationalen Marktöffnung
verweigert wird.
Viel entscheidender für die Unternehmensentwicklung
ist aber die zukünftige Präsenz und Positionierung der Energieversorgungsunternehmen
auf dem europäischen Markt bzw. dem Weltmarkt durch internationale
Beteiligungen, Kooperationen und Übernahmen. Es wird einen nationalen
und internationalen Konzentrationsprozeß bei den Stromversorgern
geben. Nach meinem Eindruck sind
die deutschen Unternehmen dabei äußerst aktiv und auch erfolgreich.
FAV: Im Zuge der Einführung des Wettbewerbs haben sich schnell
zahlreiche Anbieter grünen Stroms auf dem Markt positioniert. Bislang
sind die Verbraucher aber gezwungen, für saubere Energie einen deutlichen
höheren Preis zu zahlen. Wie schätzen Sie deren Bereitschaft
ein, ökologisch verträgliche Energie auf diesem Weg mitzufinanzieren?
Wir befinden uns zur Zeit in einer Übergangsphase vom Monopol zum
Wettbewerb, also einer Phase der Unsicherheit und des Informationsdefizits.
Daher ist im ersten Moment für alle Verbraucher der Preis das entscheidende
Argument. Längerfristig werden aber andere Dienstleistungen an Bedeutung
gewinnen, so daß in Zukunft eine zielgruppenorientierte Ansprache
der Kunden wahrscheinlich wird. Die derzeitige zweigeteilte Angebotspalette
mit Billig- und Öko-Strom für Privatkunden wird später durch
zusätzliche Angebote erweitert werden. Es kann aber auch sein, daß
einmal Strompakete mit einem abgestuften Preis angeboten werden, die zu
25, 50, 75 oder 100% aus regenerativen Energien stammen. Strom wird aber
in Zukunft lediglich der Kern eines Dienstleistungsgesamtpaketes ("alles
rund um Strom") sein. Bei
entsprechender Angebotsqualität wird der Verbraucher auch akzeptieren,
daß Energiedienstleistungen ihren Preis haben. Die Art der Erzeugung
könnte ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen, wenn der Strom
dadurch nicht zu sehr verteuert wird. Allerdings wird es immer auch reine
Preiskäufer geben.
FAV: Sehen Sie auf lange Sicht Möglichkeiten, die
Unterschiede im Preisniveau auszugleichen?
Einen solchen Ausgleich halte ich gar nicht für zwingend erforderlich.
Andererseits könnte er auch ganz unerwartet erfolgen, etwa im Wärmebereich,
wenn der Preistrend auf dem Rohölmarkt anhält. Der Strompreis
wird sich nach einer Übergangs- oder auch Übertreibungsphase
durch eine höhere Volatilität
auszeichnen, ähnlich dem Benzinpreis. Generell kann man aber sagen,
daß auf lange Sicht die regenerativen Energien gegenüber den
fossilen Energieträgern ohnehin die Nase vorn haben werden.
FAV: Können Sie eine persönliche Prognose stellen,
welche Entwicklung die einzelnen Energiequellen mittel- bzw. langfristig
nehmen werden?
In Deutschland erwarte ich keinen signifikanten Anstieg des Energieverbrauchs,
eine Stagnation ist mittelfristig wahrscheinlicher. Der Anteil regenerativer
Energie wird steigen. Welche Rolle die erneuerbaren Energien aber in Zukunft
spielen werden, das wird auch von der Nachfrage durch die Verbraucher abhängen.
Überlagert wird dieser Aspekt aber vom geplanten Ausstiegsfahrplan
aus der Atomenergie, dem Einstiegsfahrplan in die Ersatztechnologien und
auch von den vorhandenen Kapazitäten beim Ausbau erneuerbarer Energien.
Die Politik muß die Prozesse zeitlich synchronisieren, wobei momentan
mehr über den Ausstiegsfahrplan geredet wird - ein entsprechender
Einstiegsfahrplan in die Ersatztechnologien aber nur schemenhaft ersichtlich
ist.
FAV: Welche industriellen Effekte ergeben sich Ihrer Ansicht
nach aus der Förderung regenerativer Energien?
Dies ist ein Aspekt, der mir in den allgemeinen energiepolitischen Diskussionen
viel zu kurz kommt. Es ist kaum bekannt, daß derzeit in Deutschland
ein jährlicher Umsatz von rund sechs Milliarden DM mit dem Anlagen-
und Systembau sowie mit Dienstleistungen rund um die regenerativen Energietechnologien
erzielt wird. Dieser Industriezweig sorgt schon jetzt in Deutschland für
immerhin 25.000 Arbeitsplätze. Dies scheint mir neben den klima- und
umweltpolitischen Zielen ein sehr wichtiger Aspekt zu sein. Vorrangiges
wirtschafspolitisches Ziel sollte daher die konsequente Ansiedlung der
Industrie für regenerative
Energietechnologien in Deutschland sein. Nicht allein die Entwicklung
von neuen Technologien, sondern vor allem die industrielle Umsetzung und
rechtzeitige Besetzung neuer Industriefelder durch Firmenansiedlungen in
einem frühen Entwicklungsstadium sichern die Arbeitsplätze von
morgen. Wer früh, schnell und mit einer hohen Flexibilität an
den Markt geht, der hat am Ende die besten Karten. Die Chancen sind eigentlich
gut und dürfen nicht durch endlose Diskussionen zerredet werden.
Münster, den 03.09.1999 |