Zur Entwicklung der deutschen und europäischen Windenergienutzung 1998

von Dr. Norbert Allnoch 

In: Windkraft Journal, Ausgabe 2/1999, 19. Jahrgang, S. 24 - 28 


Der deutsche Markt für Windenergieanlagen (WEA) hat nach dem Ende der zweijährigen Konsolidierungsphase gedreht und ist 1998 wieder auf den Wachstumspfad zurückgekehrt [1]. Nachfolgend erfolgt zunächst eine Betrachtung des Marktes für Windenergieanlagen in Deutschland, an die sich ein Ausblick auf die Entwicklung der Windenergienutzung auf europäischer Ebene anschließt. In Analogie zu früheren Untersuchungen [2,3] werden Kleinstanlagen unter 10 kW, Prototypen und Testanlagen mit zeitlich befristeter Betriebsdauer nicht berücksichtigt. 

Trotz der Rekordzubauleistung von 781 Megawatt (MW) (1997: 525 MW) in Deutschland konnten die mit rd. 900 MW hochgesteckten Planaufstellungszahlen der Hersteller für 1998 [1] nicht umgesetzt werden. Insbesondere die weltweite Nachfrage (u.a. USA, Spanien) nach Windenergieanlagen und Lieferengpässe bei Zuliefererunternehmen haben neben der schlechten Witterung im Oktober dazu geführt, daß die WEA-Hersteller ein inländisches Auftragsvolumen von etwa 250 Mio. DM in das Jahr 1999 verschieben mußten. Im internationalen Vergleich hat Deutschland mit einer installierten Gesamtkapazität von rd. 2857 MW den Vorsprung vor den USA (rd. 1950 MW [4]) und Dänemark (rd. 1420 MW [5]) deutlich ausbauen können (Tab. 1). 

Betrachtet man die regionale Verteilung der 1998 in Deutschland neu installierten WEA-Leistung, so zeigt sich eine Stabilisierung des nunmehr seit 1994 zu beobachtenden Trends einer verstärkten Windenergienutzung im windschwächeren Binnenland. Von den 1998 installierten 781 MW wurden mit 346 MW lediglich 44% (1997: 41%) der WEA-Zubauleistung in den Küstengebieten und rd. 56 % (435 MW) im Binnenland (1997: rd. 59 %) errichtet (Abb. 1). Auch in bezug auf die  Stückzahlenverteilung zeigt sich ein ähnliches Bild wie im Vorjahr. Etwa 60 % (597 Anlagen) der im Jahr 1998 neu errichteten Windkonverter (993 Anlagen) entfallen auf das Binnenland. Zwar konnten die Hersteller ihre Planzahlen in Höhe von insgesamt etwa 1100 Anlagen ebenfalls nicht realisieren, die positive Wachstumsdynamik des 
WEA-Marktes hat sich im Vergleich zum Vorjahr jedoch deutlich beschleunigt. So stieg die inländische Jahreswachstumsrate für den Stückzahlenmarkt von 4% (1997) auf knapp 19 % kräftig an (Abb. 2). Zusätzlich exportierten die WEA-Hersteller im vergangenen Jahr 251 Windenergieanlagen mit einer Leistung von rd. 111 MW ins Ausland. 

Die Stromerzeugung aus Wind ist 1998 um knapp 53 % auf rd. 4,6 Mrd. kWh angestiegen (1997: 3 Mrd. kWh) und erreicht damit erstmals knapp die 1 %-Marke am deutschen Gesamtstromverbrauch (1997: 500 Mrd. kWh). Ursache für den deutlichen Anstieg der Windstromerzeugung gegenüber 1997 ist neben der Zunahme der installierten Leistung auch das mit etwa 113 % deutlich über dem Normaljahr liegende Windjahr [6]. 

Wie bereits seit einigen Jahren zu beobachten, hält der Trend zu größeren Anlagen aus der 1 bis 1,5 MW-Klasse unvermindert an. Insgesamt entfällt im vergangenen Jahr rd. die Hälfte der installierten Gesamtleistung in Höhe von 781 MW auf die Großanlagen. Während der Durchschnittswert je installierter Anlage 1996 noch bei 528 kW und 1997 bei 630 kW lag, stieg der Mittelwert im Jahr 1998 auf 787 kW wieder deutlich an (Abb. 3). 

Die erneute Boomphase des Windenergienmarktes in Deutschland ist in erster Linie auf den sukzessiven Abschluß kommunaler und regionaler Planungen zur Ausweisung von WEA-Vorrangflächen in Verbindung mit den politischen Richtungsvorgaben zum 
Stromeinspeisungsgesetz (StrEG) zurückzuführen. Dabei hat die Entscheidung über die grundsätzliche Beibehaltung des StrEG bzw. die teilweise Ausdehnung des Geltungsbereiches im Rahmen der Novellierung des Energiewirtschaftsrechts [7] dazu geführt, daß diejenigen Investoren nun verstärkt WEA-Projekte realisieren, die aufgrund der Unklarheit über die weitere Ausgestaltung des StrEG ihre  Projekte zunächst zurückgestellt hatten. Parallel hierzu hat der in der Novellierung des StrEG verankerte „doppelte 5 %-Deckel“ bei denjenigen Investoren zu Vorzieheffekten geführt, die von einem baldigen Erreichen der EVU-Aufnahmekapazitäten ausgehen. Marktunterstützend haben sich ferner auch die aktuell sehr niedrigen Finanzierungskosten sowie die zunehmende Verfügbarkeit von Anlagen der MW- 
Klasse ausgewirkt. 

Ein Ende des Trends zu leistungsstärkeren Windkonvertern zeichnet sich bislang noch nicht ab. Die Entwicklung von Anlagen der MW-Klasse stellt zwar bereits einen wichtigen technologischen Meilenstein dar, die Neuentwicklung von Anlagen mit Leistungen zwischen 2 und bis zu 5 MW ist allerdings bereits absehbar. Der WEA-Einsatz im Offshore-Bereich könnte mit  Anlagen dieser Leistungsklasse in Europa bei mittleren Windgeschwindigkeiten zwischen 7 und 9 m/s in 50 m Höhe über dem Meeresspiegel sowie den damit in Nabenhöhe möglichen Vollastbenutzungsstundenzahlen zwischen 3000 und mehr als 4000 auch eine 
energiewirtschaftlich interessante Option darstellen. 

Das starke Wachstum des Stückzahlvolumens und die begrenzte Verfügbarkeit von Anlagen der MW-Klasse haben bei den Großanlagen zur Ausbildung eines ausgeprägten Verkäufermarktes geführt. Windenergieanlagen im Sub-Megawattbereich weisen zwar oft ein günstigeres Preis-/Leistungsverhältnis im Vergleich zur MW-Klasse auf; die Hersteller dieser Anlagen können jedoch häufig nur von den Lieferengpässen bei den Großanlagen der MW-Klasse profitieren. 

Die im Jahr 1998 zu beobachtende Zunahme der Wachstumsdynamik weist unter 
markttechnischen Gesichtspunkten auffällige Parallelen zum ersten Boom der Jahre 1994/95 auf. In dieser Phase wurden die Hersteller durch die starke Ausdehnung des Marktvolumens und die gleichzeitige Einführung der Serienfertigung bei der 500-/600 kW-Klasse zu einer Erweiterung der Produktionskapazitäten veranlaßt. Gleichwohl überdecken die hohen Zuwachsraten weiterhin die vorhandenen Strukturprobleme des deutschen Windenergiemarktes sowie die hohe Abhängigkeit von den nationalen energiepolitischen Rahmenbedingungen. 

In der diesjährigen Rangfolge der Anbieter in bezug auf die Marktanteile der installierten Leistung spiegelt sich die spezielle Firmenkonjunktur einzelner Hersteller und die im Vergleich zum Vorjahr deutliche Zunahme der installierten Gesamtleistung wider (Tab. 2). Wie bereits im Vorjahr hat Enercon auch 1998 mit einer installierten Leistung von 264,7 MW die Marktführerschaft behaupten können. Während Nordex im Jahr 1997 noch auf dem fünften Rang plaziert war, hat sich dieser Hersteller im vergangenen Jahr in der Gesamtwertung mit einer Leistung von rd. 120 MW auf Rang zwei vorschieben können. Der letztjährige Zweitplazierte, die Firma Vestas, wurde auf den dritten Rang verdrängt. Trotz des Konkurses des bis dahin zweitgrößten WEA-Anbieters hat das jetzt unter dem Namen Tacke Windenergie GmbH firmierende Unternehmen im vergangenen Jahr mit einer installierten WEA-Leistung von 73,5 MW auf Anhieb einen beachtlichen vierten Platz erreichen können. 

Im Hinblick auf die räumliche Differenzierung der 1998 errichteten WEA-Kapazitäten liegt Enercon in den beiden Landschaftsräumen Küste und Binnenland auf dem ersten Rang. Während in den Küstengebieten Vestas mit 70% (72,4 MW) der im letzten Jahr errichteten WEA-Leistung in Höhe von 97,4 MW den zweiten Rang belegt, erreicht im Binnenland Tacke Windenergie mit etwa 84 % (61,8 MW) der installierten Firmenjahresleistung (73,5 MW) den zweiten Platz. Eine relativ ausgeglichene Ausrichtung auf beide Landschaftsräume zeigt sich bei dem WEA-Hersteller Nordex, der rd. 55 % seiner WEA-Leistung in den Küstengebieten und 45 % im Binnenland errichtet hat. 

Die Aufstellungszahlen des Jahres 1998 reflektieren lediglich die aktuelle Marktlage; oftmals ist jedoch die Betrachtung eines längerfristigen Zeitraumes (1982 - 1998) aussagekräftiger. Betrachtet man den Stückzahlenmarkt und die installierte Gesamtleistung, so hat sich Vestas auf den zweiten Platz vorgeschoben und NEG Micon auf den dritten Platz verdrängt. Erstmals schaffte die Firma Südwind bei der installierten Gesamtleistung den Sprung unter die Top 10 (Abb. 4a). 

In den Küstengebieten tauschten der letztjährige Zweitplazierte, NEG Micon, und Vestas ebenfalls die Plätze, während auf dem vierten Rang nunmehr AN Windenergie vor Tacke Windenergie rangiert. Im Binnenland liegt Nordex jetzt vor Vestas auf dem vierten Rang. AN Windenergie konnte sich auf dem sechsten Rang plazieren und notiert somit vor Wind World. Neu unter den Top 10 im Binnenland ist das Unternehmen DeWind (Abb. 4b). 

Der Gesamtumsatz der Branche ist im abgelaufenen Geschäftsjahr 1998 in Deutschland insbesondere aufgrund der Ausdehnung des Marktvolumens und der Tendenz zur Errichtung von Anlagen der Megawattklasse wieder deutlich angestiegen. Im Vergleich zum Jahr 1997 hat der Umsatz im abgelaufenen Geschäftsjahr auf der Grundlage der von den Herstellern angegebenen Marktpreise sowie der zu erwartenden Nebenkosten im Inland von 1,3 Mrd. DM (1997) auf rd. 2 Mrd. DM zugenommen. Inklusive des zusätzlichen Exportvolumens von rd. 200 Mio. DM ergibt sich ein Rekordumsatz der Branche von rd. 2,2 Mrd. DM. Die durchschnittliche Bruttoinvestition pro MW Windenergieleistung im Inland ist allerdings im Vergleich zum Vorjahr (2,4 Mio. DM pro MW) um rd. 4 % auf 2,5 Mio. DM pro MW angestiegen. 

Weltweit waren Ende 1997 Windenergieanlagen mit einer Leistung von mehr als 7500 MW installiert. Die globale Jahresproduktion dürfte 1998 erstmals die Marke von 2000 MW (1997: 1450 MW) überschritten haben, so daß die globale WEA-Gesamtkapazität bei mehr als 9500 MW liegt. Auch auf dem europäischen Windmarkt ist ein ausgeprägtes Wachstum zu verzeichnen, das insbesondere in Ländern wie Deutschland, Dänemark und Spanien erkennbar ist (Tab. 3). Im Jahr 1998 ist die installierte Windenergieleistung in Europa im Vergleich zu 1997 mit einer Rekordzubauleistung in Höhe von über 1700  MW auf etwa  6400 MW angestiegen. Bei der Anlagenneuerrichtung führt Deutschland mit 781 MW vor Spanien (395 MW) und Dänemark (308 MW). Gegenüber dem Vorjahr weisen vor allem Deutschland 
und Spanien 1998 einen deutlichen Zuwachs bei der  Jahreszubauleistung (rd. 49 % bzw. 87 %) auf. In Schweden wurden 1998 Windenergieanlagen mit einer Leistung von rd. 22 MW errichtet, darunter befinden sich auch die Anlagen des  im Frühjahr des vergangenen Jahres ans Netz gegangenen ersten schwedischen Offshore-Windparks Bockstigen in der Ostsee. Am Ende der skandinavischen Rangliste rangieren  Finnland und Norwegen. In Finnland konnten im vergangenen Jahr lediglich 5,5 MW Windleistung installiert werden, so daß nunmehr eine Gesamtleistung in Höhe von 17 MW zur Verfügung steht. Gleichwohl ist es das Ziel der finnischen Regierung, bis zum Jahr 2005 eine Windenergieleistung von 100 MW zu erreichen. In Norwegen, wo seit 1993 keine WEA-Neuerrichtung zu verzeichnen ist, wurden 1998 Anlagen mit einer Leistung von 5,4 MW errichtet. Damit erhöht sich die installierte Gesamtleistung auf insgesamt 9,3 MW. 

Unter Berücksichtigung der Anlagenpreise der WEA-Anbieter dürfte das europäische 
Anlagenmarktvolumen 1998 auf etwa 3 Mrd. DM (1,5 Mrd. Euro) angestiegen sein. Die 
Stromerzeugung aus Wind innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten stieg 1997 von 4,8 Mrd. kWh im Jahr 1996 auf rund 7,5 Mrd. kWh an. Für das Jahr 1998 ist auf der Grundlage der neu errichteten Windenergieleistung ein weiterer Anstieg der Windstromerzeugung auf erstmals über 10 Mrd. kWh zu erwarten (Abb. 5). 

Fazit

Der deutsche WEA-Makt ist nach Abschluß der Konsolidierungsphase wieder auf einem steilen Wachtumskurs. Vor allem der sukzessive Abschluß kommunaler und regionaler Planungen, Vorzieheffekte seitens der Investoren und das günstige Zinsumfeld haben zu diesem momentanen Windenergieboom geführt. Gebremst wird die Entwicklung derzeit nur durch die begrenzte Verfügbarkeit von Großanlagen, die wiederum teilweise auf Lieferengpässe bei den Zulieferern beruhen. Nach der wiederum überraschend schnellen Wende vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt wächst aber erneut das Unternehmensrisiko sprunghaft an. Aufgrund der hohen Nachfrage nach Großanlagen und des erheblichen Realisierungsdrucks seitens der Investoren steigt mit der kurzzeitigen und kapitalintensiven Entwicklung immer leistungsstärkerer Anlagen neben dem technologischen auch das wirtschaftliche Risiko. Bleibt zu hoffen, daß die Windenergiehersteller in einem stark volatilen 
Marktumfeld den Spagat zwischen der nachfragebedingten Produktionsanpassung und der hohen technologischen Entwicklungsdynamik auch in Zukunft beherrschen. 
 

Literatur:

[1] Allnoch, N. (1998): Zur Lage der Wind- und Solarenergienutzung in Deutschland. 
Herbstgutachten 1998/99. In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen - Zeitschrift für 
Energiewirtschaft, Recht, Technik und Umwelt, Heft 10, Jg. 48, S. 660-666 

[2] Allnoch, N. (1996): Perspektiven des Windkraftanlagenmarktes in Deutschland. In: Elektrizitätswirtschaft, Jg. 95, H. 15, S. 996 - 1000. 

[3] Allnoch, N. (1997): Zur Entwicklung der deutschen und europäischen Windkraftnutzung. In: Wind Kraft Journal, Jg. 17, H. 2, S. 14 - 17. 

[4] Gipe, P. (1999): pers. Mitteilung 

[5] Krogsgaard, P. (1999): pers. Mitteilung 

[6] Schlusemann, R. (1999): Zum Windjahr 1998, In: Wind Kraft Journal, Jg. 19, H. 1, S. 78 - 81. 

[7] Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts. In: Bundesgesetzblatt, Jahrgang 1998, Teil 1, Nr. 23, S. 730 - 736. 
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