Windenergieerlaß NRW
Immissionsschutz bei Windenergieanlagen
Ministerium für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft des Landes
Nordrhein-Westfalen V B 2 8862.6
vom 26.März 1998
(nicht veröffentlicht)
1. Grundsätzliche Ausführungen
Bei Windenergieanlagen ist zu unterscheiden, ob es um die Planung von Flächen
geht, auf denen Windenergieanlagen errichtet werden sollen, oder um Baugenehmigungsverfahren
für konkrete Anlagen. In diesem Sinn wird auch im Gemeinsamen Runderlaß
(Gem.RdErl.) „Grundsätze für Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen"
v. 29.11.1996 (Mbl.NW.1996 S. 1864 - Anlage) unterschieden.
a) Planung von Flächen für Windenergieanlagen
- Will die Gemeinde im Flächennutzungsplan Vorranggebiete oder Konzentrationsflächen
darstellen, um unabhängig von einer konkreten Planung allgemein für
das Gemeindegebiet zu regeln, an welcher Stelle Windenergienanlagen errichtet
werden können, so sind nach Abschnitt V des Gem.RdErl. „die spezialgesetzlichen
Regelungen sowohl bei der Bauleitplanung als auch bei der Genehmigung von
Anlagen zu beachten. Unter Nr. V.2 des Gem.RdErl. finden sie Erläuterungen
zum Immissionsschutz, insbesondere zur TA Lärm. Gemäß der
TA Lärm sind die im Gem.RdErl. genannten Siedlungsgebiete unter Lärmschutzaspekten
unterschiedlich schutzbedürftig. So ist beispielsweise in einem reinen
Wohngebiet nachts ein Immissionsrichtwert von 35 dB(A) einzuhalten, in
einem allgemeinen Wohngebiet 40 dB(A) und in einem Dorf- oder Mischgebiet
und auch bei Einzelgehöften im Außenbereich 45 dB(A). Beträgt
der maßgebliche Schalleistungspegel beispielweise bei einer Anlagen
100 dB(A), so kann in der Regel bei Mitwindbedingungen der Nacht-Richtwert
für reine Wohngebiete (35 dB(A)) in etwa 550 m, der für allgemeine
Wohngebiete (40 dB(A)) in etwa 340 m und der für Dorfgebiete oder
Einzelgehöfte im Außenbereich (45 dB(A)) in etwa 200 m eingehalten
werden. Bei höheren maßgeblichen Schalleistungspegeln sind auch
die erforderlichen Abstände höher, aber gleichartig gestaffelt
(Faustregel: Bei Übergang vom reinen zum allgemeinen Wohngebiet oder
vom allgemeinen Wohngebiet zum Dorfgebiet reduziert sich der Abstand etwa
um jeweils ein Drittel.). Da die Immissionsrichtwerte der TA Lärm
nicht auf eine einzelne Anlage abzustellen sind, sondern weil alle später
auf dieser Fläche errichteten Windenergieanlagen zusammen diese Immissionswerte
bei der schutzbedürftigen Wohnbebauung nicht überschreiten dürfen,
können zur Vermeindung schädlicher Umwelteinwirkungen im Einzelfall
bei Windenergieanlagen Standortverschiebungen oder einschränkende
Bestimmungen (zum Bespiel Drehzahlbegrenzungen, Nachtabschaltung) erforderlich
werden (vgl. Nr. V.2, 2. und 3. Abs. des Gem.RdErl.).
- Will die Gemeinde ohne Festlegung des Standortes und der Größe
konkreter Anlagen einen Bebauungsplan aufstellen, so ist es möglich,
unter Berücksichtigung immissionsschutzrechtlicher Regelungen schon
im Bebauungsplan durch ergänzende Festsetzungen, z.B. Festsetzung
eines flächenbezogenen Schalleistunspegels nach § 1 Abs. 4 BauNVO,
zu sichern, daß die später dort errichteten Anlagen die im Einzelfall
erforderlichen Immissionsrichtwerte einhalten.
- Ist hingegen ein Bebauungsplan vorgesehen, in dem schon die Typen
der konkreten Anlagen enthalten sind, so kann im Rahmen der Bauleitplanung
schon weitergehend geprüft werden, ob die Bebauungsplanung mit den
Belangen des Immissionsschutzes vereinbar ist. Hier käme zum Beispiel
ein entsprechendes Prognosegutachten in Betracht.
b) Konkrete Bauvorhaben für Windenergieanlagen
Geht es nicht um die bauleitplanerische Ausweisung von Flächen für
- im einzelnen noch nicht bekannte - Windenergieanlagen, sondern um Baugenehmigungsverfahren
für konkrete Anlagen, und zwar um Anlagen eines bestimmten Typs an
genau festgelegten Standorten, ist in der Regel zu prüfen, ob durch
die Anlagen schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes
zu erwarten sind. Im Baugenehmigungsverfahren wird auch zu prüfen
sein, welcher Schutzanspruch der nächstgelegenen Wohnbebauung nach
Maßgabe der TA Lärm (vgl. a), 1. Spiegelstrich) zukommt. Zuständig
für die Prüfungen in Baugenehmigungsverfahren ist die zuständige
Bauaufsichtsbehörde. Die Bauaufsichtsbehörden können zur
Erfüllung ihrer Aufgaben Sachverständige und sachverständige
Stellen heranziehen. Es empfiehlt sich, daß die zuständige Bauaufsichtsbehörde
das örtlich zuständige Staatliche Umweltamt beteiligt, das später
diese Anlagen immissionsschutztrechtlich zu überwachen hat. Eine Baugenehmigung
kann auch zur Sicherstellung des erforderlichen Immissionsschutzes der
Wohnnachbarschaft bei geringen Abständen mit einschränkenden
Bestimmungen (zum Beispiel Drehzahlbegrenzungen, Nachtabschaltungen) verbunden
werden, was in der Regel unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten
einer Genehmigungsversagung vorzuziehen ist.
2. Zum OVG - Beschluß v. 23.01.1998
Zu dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen
vom 23.10.1998 - 7 B 2984/97 - ist darauf hinzuweisen, daß es sich
bei der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) nicht um ein Urteil
in der Hauptsache, sondern um einen Beschluß in einem Eilverfahren
handelte, in dem das Gericht - ohne die Entscheidung in der Hauptsache
vorweg zu nehmen - die Interessen der Verfahrensbeteiligten gegeneinander
abwägt. Gegenstand des Verfahrens war ein Antrag auf Anordnung der
aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen eine Baugenehmigung für
eine Windenergieanlage.
Nach Ansicht des OVG waren in dem betreffenden Fall die vorliegenden
Herstellerangaben bei summarischer Prüfung nicht geeignet, eine Verletzung
geschützter Nachbarrechte mit Blick auf unzumutbare Lärmimmission
auszuschließen. Der Beschluß ist eine vorläufige Regelung
eines Einzelfalls, aber in keiner Weise generalisierbar. Nach dem Beschluß
des OVG sind weder an jedem Immissionsort ein Immissionsrichtwert von 35
dB(A) noch ausschließliche Abstände von 950 m einzuhalten. Das
Gericht hat ausgeführt, es sei nicht auszuschließen, daß
am Immissionsort so „deutlich über 35 db" liegende Werte auftreten
könnte, daß sie auch im Außenbereich nicht zumutbar wären
und der Betroffene solche Werte nicht bis zur Entscheidung in der Hauptsache
hinnehmen müßte.
3. Zum Bericht des Landesumweltamts v. 23.5.1997
In dem Beschluß v. 23.01.1998 erwähnt das OVG den Bericht des
Landes Umweltamts (LUA) vom 23.5.1997 an mich, in dem das LUA vorschlägt,
im Windenergie-Erlaß vom 29.11.1996 einen Abstand von 950 m zu reinen
Wohngebieten vorzusehen. Dem OVG war offenbar nicht bekannt, daß
ich diesen Bericht des LUA mit einem klarstellenden Erlaß vom 25.8.1997
(V B 2 - 8862.1) den Bezirksregierungen zur Kenntnis gegeben habe, aus
dem hervorgeht, daß es aus meiner Sicht weiterhin generell bei der
Abstandempfehlung von 500 m im Windenergie-Erlaß vom 29.11.1996 bleibt,
daß es aber, wie bereits in Nr. IV, 2.4 Abs. 5 des Windenergie-Erlasses
erwähnt, „begründetete Einzelfälle" geben kann, in denen
andere Abstände zugrunde zu legen wären. Wenn beispielsweise
bei großen Windenergienanlagen mit ca. 1,5 MW Leistung ein Immissionsrichtwert
von 35 dB (A) (Nachtwert für reines Wohngebiet) einzuhalten wäre,
könnte dies unter ungünstigsten Umständen (sehr laute Anlagen
- Schalleistungspegel der Windkraftanlage 105 dB (A), stark einzeltonhaltige
Anlage) einen Abstand von bis zu 950 m erfordern. Bei anderen Randbedingungen
(zum Beispiel leise Anlagen oder Mischgebiet mit einem Immissionsrichtwert
von 45 dB (A) nachts) kann die Abstandsempfehlung von 500 m erheblich unterschritten
werden (vgl. die unter 1. Genannte 100 dB(A)-Anlage). Der Empfehlung des
LUA, die generelle Abstandsempfehlung im Windenergie-Erlaß von 500
m auf 950 m zu ändern, hat mein Haus sich also nicht angeschlossen.
4. Zur Ansiedlung mehrerer Windenergieanlagen auf einer Fläche
Sowohl in Bauleitplanverfahren als auch bei konkreten Baugenehmigungen
ist zu berücksichtigen, mit welcher Geräuschbelastung später
alle Anlagen (vgl. Nr. V.2, 2. Absatz des Gem.RdErl.) Auf die Nachbarschaft
einwirken. Schöpft bereits eine Anlage den zulässigen Immissionsrichtwert
aus, dürfen die weiteren Analgen keinen zusätzlichen Immissionsbeitrag
liefern. Eine zu nahe am Immissionsort liegende Anlage kann die Ansiedlung
von weiteren Windkraftanlagen verhindern. Mit anderen Worte: Je näher
man mit dem Vorranggebiet oder der Konzentrationsfläche an die schutzbedürftigen
Wohnnutzung herangeht, desto mehr Einschränkungen muß man am
theoretisch möglichen Energieertrag der Gesamtfläche hinnehmen.
Eine unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vorzuziehende
Lösung besteht in jedem Fall darin, innerhalb des Vorranggebietes
oder der Konzentrationszone festzuschreiben, daß auf den Randzonen
der Konzentrationsfläche, die der Bebauung am nächsten liegen,
nur kleinere bzw. leisere Anlagen errichtet werden.
Letztlich ist es jedoch die Entscheidung des Trägers der Planungshoheit
nach Abwägung aller Belange, in welchem Abstand zur schutzbedürftigen
Nutzung er sein Vorranggebiet oder seine Konzentrationsfläche darstellt.
Ich empfehle daher, künftig bei Stellungnahmen schwerpunktsmäßig
auf die sich aus dem Immissionsschutz ergebenen Konsequenzen für die
Nutzbarkeit der Fläche bei unterschiedlichen Abständen einzugehen
und sich hinsichtlich konkreter Abstandsempfehlungen zurückzuhalten.
Damit stehen dann dem Träger der Planungshoheit aus der Sicht des
Immissionsschutzes der Informationen zur Verfügung, die er für
seine Entscheidung zwischen unterschiedliche Planungsalternativen benötigt.
Dieser RdErl. wird nicht im Mbl. NW. veröffentlicht.
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