Zum Windjahr 1998

von Dipl.-Geogr. Ralf Schlusemann

In: Wind Kraft Journal, Ausgabe 1/1999, 19. Jahrgang, S. 78 - 81


Insbesondere nach einem Jahreswechsel ist das Interesse an zeitlich repräsentativen Erträgen von Windenergieanlagen bei potentiellen und aktiven WEA-Investoren vor dem Hintergrund einer Einordnung des aktuellen Jahresenergieertrages in bezug auf das langjährig zu erwartende Mittel relativ groß. Ziel des nachfolgenden Beitrages ist in Anlehnung an /1/ eine witterungsklimatologische Beschreibung des Jahres 1998 sowie eine quantitative Einordnung der Energieerträge auf der Basis des in /2/ vorgestellten theoretischen Modellansatzes.

Vor allem das im Vergleich zum Normaljahr äußerst windschwache Jahr 1996 hat gezeigt, daß sich aufgrund außergewöhnlich ertragsschwacher bzw. überdurchschnittlich ertragsstarker Witterungsabschnitte recht hohe jährliche Produktionsschwankungen ergeben können, die mit deutlichen Abweichungen von der erwarteten mittleren Jahresstromerzeugung verbunden sind. So lagen die WEA-Produktionsergebnisse im Jahr 1996 im Küstenbereich rd. 11 % bzw. im Binnenland rd. 18 % unter dem langjährigen Durchschnitt. 

Zur Beschreibung derartiger WEA-Produktionsunterschiede wird zunächst eine qualitative Einordnung des Windjahres 1998 im Vergleich zu dem 30-jährigen Referenzzeitraum von 1967-1996 für die Landschaftsräume Küste und Binnenland durchgeführt. In Analogie zu /1/ bildet die Beschreibung des witterungsklimatologischen Verlaufs und die statistische Auswertung der vom Deutschen Wetterdienst (DWD) veröffentlichten Windgeschwindigkeitswerte aus dem 850 hPa-Niveau (rd. 1500 m ü. Gr.) die Grundlage für die Einordnung. Die 850 hPa-Daten werden vom DWD täglich im Zuge mehrmaliger Radiosondenaufstiege ermittelt. 

Im Unterschied zu den vom DWD bundesweit in 10 m ü. Gr. erfaßten bodennahen Winden sind die Windwerte des 850 hPa-Niveaus weitgehend unbeeinflußt von der kleinräumig stark variierenden und das Windfeld beeinflussenden Raumausstattung wie z.B. Vegetation, Bebauung, etc. und können daher für einen größeren Gebietsradius als repräsentativ angesehen werden. Die Abbildungen 1 und 2 zeigen das Ergebnis der statistischen Auswertung der 850 hPa-Werte des 30-jährigen Vergleichszeitraumes sowie der Windgeschwindigkeitswerte des Jahres 1998 an den Stationen Schleswig und Essen auf Monatsbasis. Neben den 30-jährigen Monatsmittelwerten der Windgeschwindigkeit und den aktuellen Mittelwerten des Jahres 1998 ist in den Abbildungen die mittlere Schwankungsbreite (Standardabweichung) der langjährigen Windwerte dargestellt. 

Der Vergleich des langjährigen Mittelwertes der Windgeschwindigkeit mit dem aktuellen Jahresmittelwert des Jahres 1998 liefert Anhaltspunkte für eine erste Beurteilung des Windjahres. Dabei zeigt sich, daß an beiden Standorten ein deutlich über dem langjährigen Durchschnitt liegender Jahresmittelwert erreicht wird. Mit einem Wert von 11,8 m/s ergibt sich für Schleswig ein um knapp 8 % (10,9 m/s) bzw. für Essen mit 11,0 m/s ein um etwa 10 % über dem 30-jährigen Mittel (10,0 m/s) liegender Jahresmittelwert. Da die alleinige Betrachtung eines Jahresmittelwertes nur eine bedingte Aussagekraft bietet /3/, erfolgt die Einordnung der Energieerträge des Jahres 1998 auf der Basis eines statistischen Ansatzes, der auch die saisonalen Schwankungen im Jahresverlauf berücksichtigt /2/. Nachfolgend wird zunächst für beide Landschaftsräume eine differenzierte Betrachtung des Jahres 1998 unter witterungsklimatologischen Gesichtspunkten vorgenommen.

Vor allem in der ersten Dekade des Windmonats Januar treten über Mitteleuropa kräftige, vom Nordatlantik nach Südskandinavien ziehende Sturmwirbel auf. Im Mittel zeigt sich im Januar eine zyklonale Wetterlage mit WSW-ONO verlaufender Frontalzone. Dabei führt über Deutschland ein nach Norden hin abnehmender Druckgradient dazu, daß sich der Mittelwert der Windgeschwindigkeit im 850 hPa-Niveau im Landschaftsraum Küste auf dem Level des langjährigen Mittels einstellt. Im Binnenland ergibt sich aufgrund eines stärker ausgeprägten Druckgradienten dagegen ein deutlich überdurchschnittlicher Monatswert.

Der Februar ist in Mitteleuropa durch eine verstärkte West - Ost verlaufende Zonalzirkulation gekennzeichnet. Während sich im Binnenland ein leicht über dem 30jährigen Mittel liegender Monatswert der Windgeschwindigkeit einstellt, führt das über dem norddeutschen Küstenraum liegende Maximum der Frontalzone im Küstenraum zu einem stark überdurchschnittlichen Monatsmittelwert mit extrem hohen Windstromerträgen.

Nach Abzug eines arktischen Tiefdrucktroges zu Beginn des Monats März stellt sich in Deutschland eine lebhafte West- bis Südwestströmung ein. In der zweiten Monatsdekade liegt Deutschland zwischen dem Einflußbereich eines blockierenden Hochdruckgebiets über dem Ostatlantik und einem stationären Trog über Osteuropa, so daß sich eine kräftige Nordwestströmung einstellt. 

Im April gelangt Mitteleuropa nach kurzem Zwischenhocheinfluß am Beginn des Monats in den Einflußbereich eines Tiefdruckgebietes über den Britischen Inseln mit Trogbildung über Spanien. Aus dieser Witterungskonstellation resultiert eine schwache zyklonale Südwestströmung, Im Hinblick auf die Windverhältnisse wird somit in beiden Lanschaftsräumen lediglich ein in etwa auf dem Niveau des langjährigen Mittels liegender mittlerer Windgeschwindigkeitswert erreicht.

Zu Beginn des Windmonats Mai werden weite Teile West- und Mitteleuropas durch ein Höhentief beeinflußt. In Deutschland führt das nur langsam in Richtung Ostsee wandernde Tiefdruckgebiet YOLLY z.T. zu ergiebigen Niederschlägen. Im Zuge eines von Island nach Nordeuropa ziehenden Troges gelangt Mitteleuropa vorübergehend in den Einfluß der Hauptfrontalzone, ehe eine von den Azoren über Mitteleuropa bis nach Südosteuropa reichende Hochdruckbrücke wetterbestimmend wird. Mit dieser antizyklonalen Wetterlage sind relativ niedrige Windgeschwindigkeiten verbunden. 

Zu Beginn des Monats Juni herrscht über dem Nordostatlantik und Nordwesteuropa eine rege Zyklonentätigkeit vor, die in ganz Deutschland zunächst wetterbestimmend bleibt. Gegen Ende der zweiten Dekade gelangt Europa kurzfristig unter Zwischenhocheinfluß. Anschließend stellt sich in Deutschland mit Wiederaufleben der Tiefdrucktätigkeit wiederum eine wechselhafte Witterung mit reichlich Niederschlag und südwestlichen Windströmungen ein. Bedingt durch die überwiegend zyklonalen Wetterlagen sind hinsichtlich der mittleren Windgeschwindigkeiten im 850-hPa-Niveau im Juni in beiden Landschaftsräumen vergleichsweise stark überdurchschnittliche Monatsmittelwerte der Windgeschwindigkeit zu verzeichnen, die sowohl in Essen als auch in Schleswig oberhalb der mittleren Schwankungsbreite liegen. 

Ähnlich wie der Vormonat ist auch der Juli in diesem Jahr überwiegend zyklonal geprägt. Am Monatsbeginn verlagert sich das Zentrum des im Juni wetterbestimmenden Tiefdruckgebiets im Zuge der Nordausweitung des Azorenhochs über Mitteleuropa nach Norden. Dabei stellt sich eine starke nordwestliche Strömung ein, die in der zweiten Dekade auf westliche Richtungen dreht. Insgesamt ergibt sich aufgrund des Witterungsverlaufes in beiden Landschaftsräumen ein deutlich oberhalb der mittleren Schwankungsbreite liegender Monatsmittelwert, der den Betreibern von Windenergieanlagen im Vergleich zum Langjahresmittel überdurchschnittlich hohe Monatserträge beschert. 

Im August schwächt sich das Tiefdruckgebiet über Island und Skandinavien ab. Die Hauptfrontalzone verläuft über dem nördlichen Mitteleuropa vornehmlich in West-Ost-Richtung. Dabei wird die Witterung vor allem in Norddeutschland durch eine Reihe von Tiefdruckgebieten bestimmt, während sich im Alpenraum Hochdruckeinfluß einstellt. Bedingt durch den Witterungsverlauf erreicht der Mittelwert des Windes vor allem im Küstenbereich mit 10,6 m/s einen überdurchschnittlichen Wert (8,4 m/s), der am oberen Ende der mittleren Schwankungbreite liegt. 

Die Witterung im September wird im Mittel durch einen schwach ausgebildeten Tiefdrucktrog über Westeuropa und geringe Luftdruckgegensätze in Mittel- und Osteuropa bestimmt. Daraus resultieren für das Binnenland Windverhältnisse auf dem Niveau des langjährigen Mittelwertes. In den norddeutschen Küstengebieten und insbesondere im Ostseeküstenbereich erreicht der Mittelwert der Windgeschwindigkeit dagegen nicht den langjährigen Erwartungswert. 

Der Oktober wird nahezu ausschließlich durch zyklonale Wetterlagen geprägt, die mit außergewöhnlich hohen Niederschlägen einhergehen. Dabei tragen vor allem der mit stürmischen Windgeschwindigkeiten von Neufundland ostwärts ziehende Tiefdruckwirbel WINNIE sowie das Tiefdrucksystem XYLIA gegen Ende des Monats zu stark überdurchschnittlichen Monatswerten der Windgeschwindigkeit bei. Im Monatsmittel werden für beide Landschaftsräume mit Werten von 16,6 m/s (Schleswig) bzw. 13,9 m/s (Essen) Rekordwindgeschwindigkeiten erreicht. Somit liegen auch die erwirtschafteten WEA-Energieerträge im Oktober deutlich über den im Langjahresmittel zu erwartenden Stromernten. Der stürmische und viel zu nasse (200 - 300 %) Witterungsverlauf führt dazu, daß im Monat Oktober nur wenige Windenergieanlagen aufgestellt werden konnten und Neuaufstellungen auf die folgenden Monate verschoben werden mußten.
Der November ist sowohl im Binnenland als auch im Küstenbereich sehr windschwach ausgeprägt. Ursache ist die Aufspaltung der Frontalzone in einen Zweig über Nordeuropa und einen weiteren Zweig über dem Mittelmeerraum. Daraus resultiert über Mitteleuropa ein geringer Druckgradient, der mit sehr niedrigen Windgeschwindigkeiten einhergeht. Aufgrund des Witterungsverlaufes ergeben sich somit im Monatsmittel deutlich unterdurchschnittliche Windwerte, wobei im Binnenland mit lediglich 8,0 m/s ein extrem niedriger Wert verzeichnet wird. 

Das Wettergeschehen im Monat Dezember wird nach antizyklonaler Witterung zum Monatsbeginn ab der zweiten Dekade durch Tiefdruckgebiete bestimmt, die in Deutschland insgesamt für einen leicht über dem langjährigen Mittel liegenden Windmonat sorgen. Während der Weihnachtstage überqueren stark ausgeprägte Tiefdruckgebiete mit hohen Windgeschwindigkeiten Deutschland. Gegen Ende des Monats dreht der Wind unter Hochdruckeinfluß auf süd- bis südöstliche Richtungen. 

Nach der qualitativen Einordnung des Windjahres unter witterungsklimatologischen Gesichtspunkten wird nachfolgend eine auf dem von Allnoch /2/ vorgestellten statistischen Modellansatz zur Bestimmung eines Produktionsindexes basierende quantitative Einordnung von WEA-Jahressttromernten in bezug auf die langjährig zu erwartenden Erträge vorgesnommen. Grundlage dieses Verfahrens ist ein regressionsanalytischer Ansatz zur Berechnung und Einordnung zeitlich repräsentativer WEA-Energieerträge /4/. Demnach hat sich eine relativ deutliche Korrelation zwischen den Monatsmitteln des Windes im 850 hPa-Niveau und der monatlichen WEA-Stromproduktion gezeigt. Unter Annahme dieses linearen Zusammenhangs wird für einen 6-jährigen Zeitraum (1991-1996) eine Regressionsanalyse zwischen den monatlichen Windgeschwindigkeitsmitteln u850 an den Stationen Schleswig bzw. Essen und den zugehörigen Ertragswerten einer repräsentativen 300 kW-Küsten- bzw. 280 kW-Binnenland-Anlage durchgeführt. Die Ermittlung der im Langjahresmittel zu erwartenden Energieertragswerte erfolgt durch Einsetzen der 30-jährigen Monatsmittel der Windgeschwindigkeit in die ermittelte Regressionsgleichung. Die Summe dieser monatlichen Energieertragswerte entspricht der Windstromproduktion im ”Normaljahr”. In einem weiteren Schritt werden die 1998 zu erwartenden Jahresenergieerträge unter Verwendung der monatlichen Windgeschwindigkeitsmittel des Jahres 1998 berechnet und in Tabelle 1 und 2 mit der Ausbeute des ”Normaljahres” verglichen. Neben den Langjahreswerten und den für 1998 kalkulierten Energieerträgen enthalten die Tabellen 1 und 2 die monatlichen Abweichungen bzw. die Gesamtabweichung vom Normaljahr. Dabei zeigt sich, daß insbesondere in den Sommermonaten Juni und Juli sowie im Oktober die Monatsmittelwerte der Windgeschwindigkeit sowie die zugehörigen Energieertragswerte in beiden Landschaftsräumen deutlich über den langjährigen Mittelwerten liegen. Im Gegensatz dazu weist insbesondere der November im Vergleich zum Normaljahr stark unterdurchschnittliche Energieerträge auf. Per saldo kann das vergangene Jahr auf der Grundlage des angewendeten Verfahrens als deutlich überdurchschnittliches Windjahr eingeordnet werden, das mit rd. 113 % im Landschaftsraum Küste bzw. 114 % im Binnenland nach 1990 den zweithöchsten Wert dieses Jahrzehnts aufweist.

Die nach dem beschriebenen Verfahren ermittelten prozentualen Ertragsabweichungen vom erwarteten Langjahreswert für die ausgewählten Referenzanlagen sind für den 30-jährigen Gesamtbetrachtungszeitraum (1967-1998) in den Abbildungen 3 und 4 dargestellt. Dabei zeigt sich vor allem in den siebziger Jahren eine Konzentration unterdurchschnittlicher Windjahre, während in den achtziger und insbesondere zu Beginn der neunziger Jahre deutlich überdurchschnittliche Windjahre aufgetreten sind. Als beinahe 100-prozentiges Produktionsjahr kann in beiden Landschaftsräumen das Jahr 1995 eingeordnet werden.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die Jahreswindgeschwindigkeitsmittel im 850 hPa-Niveau im Windjahr 1998 an den Radiosondenstationen Schleswig und Essen Differenzen um + 8 % (Schleswig) bzw. + 10 % (Essen) aufweisen und damit deutlich über dem Langjahresmittel liegen. Bezogen auf die einzelnen Monate ergeben sich im Jahresverlauf aufgrund witterungsklimatischer Faktoren deutlichere Unterschiede, die sich erwartungsgemäß auch in der Höhe der monatlichen Stromerträge widerspiegeln, so daß z.T. beträchtliche Abweichungen vom langjährig zu erwartenden Energieertrag auftreten. So konnten im Oktober in beiden Landschaftsräumen deutlich überdurchschnittliche Energieerträge erwirtschaftet werden, während im November im Vergleich zum Normaljahr Ertragsdefizite zu verzeichnen sind, die im Küstenraum besonders ausgeprägt sind. Die quantitative Einordnung der WEA-Stromausbeute des Jahres 1998 im Hinblick auf die langjährig zu erwartenden Energieerträge erfolgt dabei auf der Grundlage des in /2/ vorgestellten statistischen Modellansatzes für einen WEA-Produktionsindex. Per saldo ergibt sich auf der Basis des verwendeten Verfahrens für die Küstenregion ein gut 113-prozentiges bzw. für das Binnenland ein etwa 114-prozentiges Windjahr, das somit in beiden Landschaftsräumen deutlich über dem Niveau des Vorjahres 1997 liegt.
 

Literatur:

/1/ Schlusemann , R. (1998): Zum Windjahr 1997. - In: Wind Kraft Journal 18, 1, S. 48 - 52

/2/ Allnoch, N. (1997): Zur Windstromerzeugung im Normaljahr. In: Elektrizitätswirtschaft, 96.  24, S. 1431-1434

/3/ Allnoch, N. (1996): Zur Aussagekraft mittlerer Jahreswindgeschwindigkeitswerte. - In: Wind Kraft Journal 16, 4, S. 24-26

/4/ Allnoch, N., Werner, J. (1993): Ein Verfahren zur Berechnung zeitlich repräsentativer WEA-Energieerträge. - In: Neue Energie 3, 30. S. 1286 - 1290

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