Windklimatologie
Beitrag: "Zur Aussagekraft mittlerer Jahreswindgeschwindigkeitswerte"
von Dr. Norbert Allnoch
In: Windkraft Journal 4/1996, Juli/August 1996, 16. Jg., S. 24-26
Für die Abschätzung der potentiellen Energieausbeute an einem
WKA-Standort sind Angaben über die lokalen Windverhältnisse
erforderlich. Als Gütekriterien für die windklimatologische
Eignung dienen in der Regel die Höhe bzw. die Struktur der Windgeschwindigkeit
in der vorgesehenen Nabenhöhe. Gleichwohl ist derzeit ein Trend
zu erkennen, als Eignungsmaß für potentielle WKA-Lokalitäten
vor allem die mittlere Jahreswindgeschwindigkeit heranzuziehen. So werden
beispielsweise WKA-Energieerträge von den Herstellern in Abhängigkeit
von der Jahreswindgeschwindigkeit angegeben oder Windpotentialkarten
mit diesem Parameter veröffentlicht. Auch finden sich im Zusammenhang
mit Wirtschaftlichkeitsrechnungen immer häufiger Stromerzeugungskosten
in Abhängigkeit vom Jahresmittel [1,2] oder in Richtlinien Grenzwerte
mittlerer Jahreswindgeschwindigkeit in einer konkreten Höhe (z.B.
10 m ü.Gr.)[3]. Nun kann aus rein windklimatologischer Sicht und
als Orientierungshilfe eine kartographische Abgrenzung bzw. Darstellung
windhöffiger Landschaftsräume auf der Basis von Mittelwerten
durchaus sinnvoll sein, gleichwohl entsteht im Zusammenhang mit der
praxisbezogenen Windenergienutzung der Eindruck, als sei mit derartigen
Mittelwertangaben ein eindeutiges und hartes Entscheidungskriterium
für ein WKA-Investitionsvorhaben vorhanden. Nachfolgend soll daher
untersucht werden, welche Aussagekraft mit dem Jahresmittelwert im Hinblick
auf WKA-Ertragsprognosen bzw. Investitionsrechnungen verbunden ist.
Zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit eines WKA-Vorhabens
ist neben den Investitions- und Betriebskosten, dem Zinssatz und der
Nutzungsdauer vor allem der Jahresenergieertrag von entscheidender Bedeutung.
Da die Windgeschwindigkeit bekanntlich mit der 3. Potenz in die Leistung
eingeht, ist allerdings eine einfache Berechnung der jährlich zu
erwartenden Energieausbeute mit Hilfe des Jahresmittelwertes nicht möglich.
Vielmehr sind zur Ermittlung des technisch nutzbaren Windpotentials
entsprechende Daten über die statistische Verteilung der Windgeschwindigkeit
notwendig. Erst durch Integration über das nutzbare Windgeschwindigkeitsspektrum
ist auf dieser Grundlage und mit Hilfe der WKA-Leistungskennlinie die
Ermittlung der Gesamtenergie möglich. Von entscheidender Bedeutung
ist jedoch, daß theoretisch ein und demselben Jahresmittelwert
eine Vielzahl unterschiedlicher Häufigkeitsverteilungen zugrundeliegen
kann. Deshalb erscheint von besonderem Interesse, wie hoch die möglichen
Unterschiede in bezug auf die zu erwartenden Jahresenergieertäge
auf der Basis desselben Jahresmittelwertes sein können, denen aber
verschiedene Häufigkeitsverteilungen zugrundeliegen. Zu diesem
Zweck werden nachfolgend beispielhaft mit Hilfe der Weibullverteilung
zunächst verschiedene Verteilungsfunktionen für einen definierten
Mittelwert generiert und anschließend die jeweiligen potentiellen
WKA-Jahresenergieerträge berechnet.
Mit der Weibullverteilung, einer zweiparametrigen, theoretischen Verteilung
aus der Gruppe der Gammaverteilungen, kann die Näherungsfunktion
von Häufigkeitsverteilungen bestimmt und auf dieser Basis das WKA-Energiepotential
berechnet werden. Die formale Dichtefunktion wird durch die Beziehung
oder in der Form
mit
u = Windgeschwindigkeit [m/s]
ux = Windgeschwindigkeit u an der Stelle x [m/s]
k = shape Faktor [-]
a = scale Faktor [m/s]
angegeben. Durch die Variation des Shape-Parameters k können symmetrische
Häufigkeitsverteilungen sowie Verteilungen mit positiver und negativer
Schiefe abgebildet werden. Mit Hilfe eines Simulationsprogramms ist es
möglich, aus der Vielzahl denkbarer a und k-Parameterkombinationen
diejenigen zu ermitteln, die ein und denselben Mittelwert der Windgeschwindigkeit
aufweisen. Die Berechnung der Mittelwerte in Abhängigkeit von den
verschiedenen Parameterkombinationen wird nachfolgend mit Hilfe der Gleichung
mit
M = Mittelwert der Windgeschwindigkeit [m/s]
a = scale Faktor [m/s]
k = shape Faktor [-]
durchgeführt.
Die potentiell unterschiedlichen Verlaufsfunktionen zweier Häufigkeitsverteilungen
mit einem gemeinsamen Mittelwert sind exemplarisch in der Abbildung
1 dargestellt. In diesem Beispiel weist die linkssteilere Verteilung
W1 in den oberen Windgeschwindigkeitsklassen deutlich höhere Anteilswerte
gegenüber W2 auf, so daß der potentiell zu erwartende WKA-Energieertrag
am Standort W1 sichtlich über dem des Standorts W2 liegt.
Abbildung 1: Funktionaler Verlauf zweier
Häufigkeitsverteilungen mit gleichem Jahresmittelwert (6,00 m/s)
sowie die Energieerträge für eine 600 kW-Anlage
Nachfolgend werden beispielhaft für einen Mittelwert von 6,00
m/s zunächst die möglichen Weibullparameter bestimmt und mit
Hilfe einer WKA-Leistungskennlinie (600 kW-Anlage) die potentiellen
Jahresenergieerträge bzw. Erlöse berechnet (Tab.
1).
Wie deutlich erkennbar ist, können die zu erwartenden WKA-Stromausbeuten
und Erlöse bei ein und derselben Jahreswindgeschwindigkeit (6,00
m/s) erheblich voneinander differieren. Aus diesem Grund erscheint die
Angabe von Grenzwerten für den Parameter "mittlere Windgeschwindigkeit"
z.B. im Zusammenhang mit Förderrichtlinien oder zur räumlichen
Steuerung und Bündelung von Windkraftanlagen bedenklich, zumal
diese Zahlenangaben angesichts der dynamischen Entwicklung auf dem Windkraftsektor
vorschnell im Sinne eines eindeutigen Wirtschaftlichkeitskriteriums
fehlinterpretiert werden können.
Im Zusammenhang mit der Ausweisung von windhöffigen Gebieten als
Vorranggebiete wird verstärkt auf Windpotentialkarten zurückgegriffen,
in denen mit hoher räumlicher Rasterauflösung (200 - 500 m)
häufig mittlere Jahreswindgschwindigkeitswerte dargestellt [4]
oder die entsprechenden Weibullparameter angegeben werden [5]. Da die
Bestimmung der jeweiligen Weibull-Parameterwerte an den Rasterpunkten
fast immer mittels Interpolationsverfahren erfolgt und der aerodynamische
Rauhigkeitseinfluß häufig zudem nicht punktspezifisch vor
Ort exakt erfaßt wird, sind die auf derartigen Angaben basierenden
WKA-Energieerträge ebenfalls lediglich als Orientierungswerte aufzufassen.
In der nachfolgenden Tabelle sind beispielhaft die potentiellen Jahresenergieerträge
einer 600 kW-Anlage für verschiedene a-Parameterwerte aufgeführt,
die sich lediglich in Nachkommastellen voneinander unterscheiden (Tab.
2). Anhand der Ergebnistabelle wird erkennbar, daß der häufig
von Planern und potentiellen Investoren erhoffte hohe Genauigkeitsgrad
in bezug auf die zu erwartenden Jahresenergieausbeuten kaum erreicht
werden kann.
Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Jahresmittelwert der
Windgeschwindigkeit als grobe Orientierungshilfe für die windklimatologische
Eignung einer WKA-Lokalität hilfreich sein kann, allerdings scheint
dieser Parameter als hartes Entscheidungskriterium für eine WKA-Investition
wenig aussagekräftig. Anhand eines Beispiels wurden mit Hilfe eines
Simulationsprogramms für einen Mittelwert von 6,00 m/s verschiedene
Häufigkeitsverteilungen generiert und die potentiellen Energieausbeuten
für eine 600 kW-Anlage berechnet. Die auf dieser Basis ermittelten
Jahreserträge schwanken zwischen 956.098 kWh und 1.241.319 kWh.
Aber auch die im Zusammenhang mit Windpotentialkarten angegebenen Weibullparameter
können kaum den häufig geäußerten oder erhofften
Anspruch einer exakten lokalen Energiepotentialbestimmung erfüllen.
Als Fazit bleibt anzumerken, daß sowohl die auf der Basis von
mittleren Jahreswindwerten bzw. Weibullparametern angegebenen bzw. berechneten
Energieerträge nicht leichtgläubig als Absolutwerte angesehen
werden sollten. Potentiellen Investoren wird deshalb im Rahmen der Beurteilung
von Wirtschaftlichkeitsrechnungen empfohlen, Planungsbüros auch
mit der Durchführung von Sensitivitätsanalysen für den
Parameter "Jahresenergieertrag" zu beauftragen. Für die bei vielen
Gemeinden aufgrund der jetzt beschlossenen Novellierung des Baugesetzbuches
anstehenden Planungen zur Ausweisung von Vorranggebieten erscheint es
ratsam, die in vorhandenen Windkarten dargestellen Isoventen nicht als
harte Grenzlinien zu betrachten und das windklimatologische Kriterium
im Verhältnis zu den städtebaulichen oder naturschutzrechtlichen
Gesichtspunkten nicht überzugewichten.
Literatur
[1] Schwenk, B.; Veltrup, M.; Keuper, A. (1994): Energieerzeugungskosten
aus Windenergie in Deutschland. In: DEWI-Magazin Nr. 5, S. 15-20.
[2] Rehfeld, K.; Schwenk, B. (1996): Entwicklung der Energieerzeugungskosten
von Windenergieanlagen. In: DEWI-Magazin Nr. 9, S. 36-44.
[3] Hessisches Ministerium für Landesentwicklung, Wohnen, Landwirtschaft,
Forsten und Naturschutz (Hrsg.) (1994): Planungsrechtliche und naturschutzrechtliche
Beurteilung von Windkraftanlagen. In: Staatsanzeiger für das Land
Hessen, Nr. 16, S. 1105 - 1107.
[4] RWE Energie A.G. (Hrsg.) (1996): Windkarte für den Kreis Euskirchen.
Essen.
[5] Ortjohann, E.; Bendfeld, J.; Ernst, A. (1994): Windatlas für
das PESAG-Versorgungsgebiet. Universität Paderborn.
Autor
Dr. Norbert Allnoch
Internationales Wirtschaftsforum
Regenerative Energien (IWR)
Tel. 0251/23946-0
Fax. 0251/23946-10
Internet: http://www.iwr.de
Tab. 1: Die für einen Jahresmittelwert
von 6,00 m/s ermittelten a und k-Weibullparameterkombinationen (9,00
<= a <= 1,00 und 3,00 <= k <= 1,00) sowie die berechneten
Energieerträge und Erlöse für eine 600 kW-Anlage (Auszug)
Jahres- a-Parameter k-Parameter Jahresertrag Erlöse
mittelwert (0,1721 DM/kWh)
[m/s] [m/s] [-] [kWh] [DM]
6,00 6,72 3,00 956.098 164.544,47
6,00 6,72 3,01 958.529 164.962,84
6,00 6,72 2,99 959.085 165.058,53
...... .... ..... ...... .......
6,00 6,75 2,68 1.000.073 172.112,56
6,00 6,75 2,69 1.000.283 172.148,70
6,00 6,75 2,61 1.002.597 172.546,94
..... ..... ..... ...... ........
6,00 6,77 2,00 1.110.394 191.098,81
6,00 6,77 2,03 1.111.636 191.312,56
6,00 6,77 1,98 1.116.037 192.069,97
..... ...... ...... ...... ........
6,00 6,69 1,59 1.192.461 205.222,54
6,00 6,69 1,60 1.194.836 205.631,28
6,00 6,14 1,06 1.195.464 205.739,35
..... ...... ..... ...... ......
6,00 6,54 1,35 1.236.088 212.730,74
6,00 6,45 1,26 1.241.174 213.606,05
6,00 6,55 1,36 1.241.319 213.631,00
Tab. 2: Die Änderung des Jahresmittelwertes,
des Jahresertrages und der Erlöse für eine 600 kW-Anlage bei
konstantem k-Weibullparameter und Variation des a-Parameters im Nachkommastellenbereich
a-Parameter k-Parameter Jahresmittelwert Jahresertrag Erlöse
(0,1721 DM/kWh)
[m/s] [-] [m/s] [kWh] [DM]
6,00 2,00 5,32 824.461 141.889,74
6,02 2,00 5,34 835.264 143.748,93
6,04 2,00 5,35 837.882 144.199,49
6,06 2,00 5,37 848.919 146.098,96
6,08 2,00 5,39 856.346 147.377,15
6,10 2,00 5,41 862.044 148.357,77
6,12 2,00 5,42 872.967 150.237,62
6,14 2,00 5,44 877.327 150.987,98
6,16 2,00 5,46 885.541 152.401,61
6,18 2,00 5,48 896.422 154.274,23
6,20 2,00 5,49 898.205 154.581,08
6,22 2,00 5,51 902.392 155.301,66
6,24 2,00 5,53 913.783 157.262,05
6,26 2,00 5,55 920.755 158.461,94
6,28 2,00 5,57 931.932 160.385,50
6,30 2,00 5,58 936.609 161.190,41
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