27.05.2014, 17:05 Uhr

Wenn Russland am Gashahn dreht: DIW gibt bedingte Entwarnung

Berlin – Angesichts der Abkühlung der europäisch-russischen Beziehungen vor dem Hintergrund des politischen Konfliktes zwischen Russland und der Ukraine treibt viele Menschen und Politiker in Europa und Deutschland die Angst um die sichere Versorgung mit Erdgas um. Was passiert, wenn Russland, das zuletzt mit China über Gaslieferungen verhandelt hat, den Gashahn nach Europa zudreht?

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) räumt ein, dass es zum Teil in der EU eine hohe Abhängigkeit von Öl und Gas aus Russland gebe. Deutschland ist in Sachen Erdgas zu über einem Drittel von russischen Lieferungen abhängig. Anfang Mai hatten sich bereits die EU-Energieminister zu diesem Thema getroffen. Auch Europas Grüne fragen sich, wie sicher die Versorgung ist. Sie haben das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) beauftragt, die Bedeutung russischer Erdgasexporte nach Europa zu untersuchen. Das Ergebnis der Untersuchung klingt wie eine bedingte Entwarnung.

Kompletter Stopp russischer Erdgaslieferungen würde Osteuropa treffen

Die europäische Erdgasversorgung ist laut DIW Berlin trotz der politischen Krise zwischen Russland und der Ukraine kurzfristig sicher. Sollte Russland seine Lieferungen in und durch die Ukraine unterbrechen, könnten die Mitgliedsländer der EU dies weitgehend kompensieren. Würde Russland aber einen kompletten Stopp über sämtliche Lieferwege verhängen, wären insbesondere die osteuropäischen EU-Staaten stark betroffen, Westeuropa jedoch wesentlich weniger.

Kemfert: Europa noch nicht so weit, wie es sein sollte

Der Untersuchung zufolge hat sich die Versorgungssicherheit seit der letzten Erdgaskrise zwischen Russland und der Ukraine im Winter 2009 zwar erhöht, unter anderem weil die EU-Länder Erdgas aus mehr Ländern beziehen und Flüssiggasterminals, Speicher und neue Pipelines gebaut haben. Allerdings: „Europa ist in Sachen Versorgungssicherheit noch nicht ganz so weit, wie es sein sollte“, sagt Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin. „Um sich mittelfristig noch besser gegen Lieferausfälle zu wappnen, muss die EU den Kreis ihrer Erdgaslieferanten weiter vergrößern, die bestehende Infrastruktur besser nutzen, für eine steigende Energieeffizienz sorgen und den Ausbau erneuerbarer Energien konsequent vorantreiben.“

Preissteigerungen um bis zu 100 Prozent

Vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Krise und den Drohungen des russischen Erdgaskonzerns Gazprom, im Falle der Nichtbegleichung offener Rechnungen der Ukraine Anfang Juni den Gashahn abzudrehen, berechneten die DIW-Energieökonomen die Folgen zweier Ausfallszenarien für das Jahr 2015.

Bei einem Lieferstopp durch die Ukraine wären neben dem Land selbst in erster Linie Kroatien, Ungarn und Rumänien betroffen – diese Länder haben kaum Zugang zu Flüssiggas, das per Tanker geliefert werden könnte, und sind zudem nicht ausreichend in das europäische Pipelinenetz integriert, um genügend Ersatzlieferungen aus Nachbarländern erhalten zu können. Das Szenario, in dem Russland sämtliche Erdgasexporte stoppt, bekämen hingegen nahezu alle EU-Mitglieder in Form deutlich steigender Preise zu spüren. Dies wäre insbesondere im Baltikum und Finnland so, wo die Preise um etwa 100 Prozent steigen würden.

Deutschland käme glimpflich davon

Deutschland käme laut DIW Berlin vergleichsweise glimpflich davon. Zwar deckt die Bundesrepublik etwa 38 Prozent ihres Erdgasverbrauchs mit Importen aus Russland, dennoch würden sich russische Liefereinschränkungen weitaus weniger stark auswirken als in anderen Ländern. Der Grund: Die Bedeutung der Ukraine als Transitland für Erdgaslieferungen aus Russland hat in den vergangenen Jahren abgenommen, seitdem die Nord-Stream-Pipeline als direkte Verbindung zwischen Russland und Deutschland in Betrieb gegangen ist. Da Deutschland auch an die in Weißrussland startende und über Polen verlaufende Jamal-Pipeline angeschlossen ist, könne es seine Lieferwege diversifizieren. Zudem verfüge Deutschland über große Speicherkapazitäten, die etwa einem Viertel des gesamten Erdgasverbrauchs entsprechen würden.

Bütikofer: EU muss Abhängigkeit im Infrastrukturbereich sicherheitspolitisch bewerten

Reinhard Bütikofer von der Europäischen Grünen Partei sagt: „Die DIW-Studie hat zum ersten Mal das Ausmaß von Gazproms Anteilen an der Energiewirtschaft innerhalb der Europäischen Union erfasst. Sie zeigt, dass eine explizite sicherheitspolitische Analyse dieser Situation durch die EU-Kommission nötig ist und dass entsprechende Konsequenzen ergriffen werden müssen, um zu verhindern, dass sich kritische Auswirkungen auf Europas Energiesicherheit und Wettbewerbsfähigkeit ergeben. Die EU-Kommission sollte die Regeln bezüglich des Erwerbs von strategischer europäischer Infrastruktur durch Nicht-EU-Unternehmen überprüfen. Für die Entwicklung einer europäischen Energieunion ist eine sicherheitspolitische Bewertung von Abhängigkeit im Infrastrukturbereich von großer Bedeutung.“

Weitere Nachrichten und Infos zum Thema:


© IWR, 2014