25.07.2013, 15:14 Uhr

Trotz Energiewende: Versorger setzen auf Kohlestrom

Münster - Der Solarstrom bricht in diesen heißen Tagen immer neue Rekorde, aber gleichzeitig laufen die Kohlekraftwerke auf Hochtouren. Zudem legt der Stromexport deutlich zu. Was zunächst paradox klingt, hat durchaus Logik – aber nur aus Sicht der Energiekonzerne.

Kohlestromproduktion steigt

Eigentlich gelten sie als Auslaufmodelle, doch derzeit sind ihre Dienste äußerst gefragt: Die deutschen Kohlekraftwerke haben ihre Produktion in den letzten sechs Monaten deutlich erhöht. Ihre Stromerzeugung legte um 12,4 Prozent zu, wie aus Daten des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hervorgeht, die unserer Redaktion vorliegen. Gleichzeitig dürfte sich die die deutsche CO2-Bilanz dank der „schmutzigen“ Energieträger wie schon im letzten Jahr verschlechtern – und das, obwohl die regenerativen Energien Beiträge auf Rekordniveau leisten. Erst vor wenigen Tagen steuerte allein die Photovoltaik fast 24.000 Megawatt (MW) zum Gesamtbedarf bei. Konventionelle Kraftwerke müssen zur Abdeckung der Spitzenlast momentan nicht zugeschaltet werden.

Braunkohle im großen Stil verstromt

Für die Energieversorger ist der Boom der Erneuerbaren nur auf den ersten Blick ein Problem. Der Strom aus regenerativen Quellen hat stets Vorfahrt im Netz. Auch dessen wachsendes Angebot trug zum Absacken der Großhandelspreise an der Strombörse EEX bei, die sich in den letzten Tagen etwas erholt haben. Die Versorger lassen die unflexiblen Kohlemeiler derweil auf Hochtouren laufen, drohen zwischendurch aber immer wieder mit deren Schließung. RWE generiert nach eigenen Angaben weit über die Hälfte der Produktion aus Braunkohle, die in den eigenen Revieren vergleichsweise günstig förderbar ist. Angesichts des Fracking-Booms in den USA sind die Kohlepreise weltweit im Keller. Die vergleichsweise teuren Gaskraftwerke stehen überwiegend still, während die oftmals bereits abgeschriebenen Kohlekraftwerke einen Großteil des konventionellen Bedarfs kostengünstig decken.

Emissionszertifikate zu günstig

Ein wesentlicher Faktor pro Kohle: Die Preise für CO2-Emissionszertifikate sind ebenfalls in einem Tief, so dass der Verschmutzungsaspekt in der Kalkulation der Konzerne nur eine untergeordnete Rolle spielen dürfte. „Wir brauchen einen verschärften Emissionshandel und ein Markt-Design, das Gas- statt Kohlekraftwerke fördert“, erklärte Sylvia Pilarsky-Grosch, Präsidentin des Bundesverband WindEnergie (BWE), am Donnerstag. Sie wertet die in der EU-Kommission diskutierte Maßnahme, 900 Millionen CO2-Zertifikate schlicht einzuziehen, als Schritt in die richtige Richtung. Laut WWF/Öko-Institut müssten es mindestens 1,4 Milliarden sein, um eine spürbare Wirkung zu erzielen.

Export zu Negativpreisen wegen Kohlestrom?

Auch Philipp Vohrer, Geschäftsführer der Agentur für Erneuerbare Energien, sieht Handlungsbedarf: "Der erforderliche Netzausbau und die damit verbundenen Kosten könnten bis 2023 vermutlich geringer ausfallen, wenn das Übertragungsnetz neben der Stromeinspeisung aus Erneuerbaren Energien nicht noch zusätzlich eine quasi unverminderte Einspeisung des Kohlestroms ermöglichen müsste." Am Ende entstehe eine weitere paradoxe Situation, die klimapolitisch und wirtschaftlich vollkommen unsinnig sei: Deutschland müsse Strom zu Negativpreisen exportieren.

Rekord-Exportüberschuss bei deutschem Strom

Dabei hat die Bundesrepublik zwischen Januar und Mai bereits einen Exportüberschuss in Höhe von 14,04 Mrd. Kilowattstunden (kWh) verbucht, wie aus den Daten des European Network of Transmission System Operators for Electricity (ENTSO-E) hervorgeht. Das ist eine Steigerung um 46,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und diese Entwicklung ist wahrscheinlich noch nicht am Ende: In Deutschland werden nach heutigem Stand 2013 so viele neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen wie noch nie in den letzten 20 Jahren.

Deutscher Stromexport im Jahr 2013 auf Rekordkurs


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