16.08.2013, 16:58 Uhr

Reaktor vier in Fukushima: Umzug von Brennelementen macht Experten Angst

Münster – Die Situation in dem havarierten Atomkraftwerk Fukushima ist weiterhin kritisch – nur ausnahmsweise macht das Wasser-Problem dabei nicht die größten Sorgen. Demnächst steht die wohl gefährlichste Operation der bisherigen Aufräumarbeiten an: Aus dem Abklingbecken in dem beschädigten Reaktor vier müssen 400 Tonnen hochradioaktiver Brennelemente entfernt werden. Experten warnen vor einem Unfall mit noch nie gesehenen Folgen.

Reaktor vier in Fukushima ist eine Besonderheit: Der Meiler war bei dem Erdbeben mit dem anschließenden Tsunami im März 2011 nicht am Netz, die Brennelemente waren zuvor aus dem Kern entfernt worden. Damit hören die guten Nachrichten aber schon auf. Das Gebäude wurde schwer beschädigt und galt lange Zeit als einsturzgefährdet, sollte es zu einem weiteren Erdbeben kommen. Immerhin hat der Betreiber Tepco die Errichtung von Betonstützen und –abdeckungen kürzlich abgeschlossen.

Warnung vor dem Super-GAU

Im Obergeschoss aber lagert eine hochgefährliche und vor allem radioaktive Fracht: 1.331 benutzte Brennelemente, eng beieinander verstaut, müssen aus dem fragilen Gebäude entfernt werden. Im November soll die für ein Jahr geplante Operation, der höchste Priorität eingeräumt wird, beginnen. Das Gefahrenpotenzial dieser Mission, die so noch nie vorher stattgefunden hat, ist immens: „Eine vollständige Freisetzung aus dem Abklingbecken, ohne irgendeinen Einschluss oder Kontrolle, könnte den bislang größten Atomunfall aller Zeiten auslösen“, heißt es dazu im unabhängigen World Nuclear Industry Status Report 2013.

Auch nach Ansicht des US-amerikanischen Nuklearexperten Arnie Gundersen birgt die Operation große Gefahren. Falls ein Brennelement zerbreche, stecken bleibe oder sich einem anderen Exemplar zu stark nähere, drohe die Freisetzung von großen Mengen Radioaktivität, erklärte er der Nachrichtenagentur „Reuters“. Zudem warnte er davor, dass die Stäbe mit Luft in Kontakt kommen könnten. In diesem Fall wäre ein Brand die mögliche Folge.

Entfernung ist ein kritischer Prozess

„Sie werden Probleme haben, eine solche große Anzahl von Brennstäben sicher zu entfernen“, sagte Gundersen. Wenn aus irgendwelchen Gründen eine Kettenreaktion in Gang gesetzt werden sollte, könne diese weder unterbrochen noch kontrolliert werden. Das Kühlbecken ist nur zur Absorption der Zerfallswärme gedacht, die bei einer nuklearen Reaktion entstehende Hitze ist aber wesentlich größer.

Die Möglichkeit eines Unfalls ist nicht von der Hand zu weisen: Jedes Brennelement wiegt rund 300 Kilogramm und ist viereinhalb Meter lang. 1.331 abgebrannte Exemplare befinden sich in dem Becken, davon sind knapp 550 erst kurz vor der Katastrophe zu Wartungszwecken aus dem Reaktor entfernt worden. Sie liegen dort erst zweieinhalb Jahre und sind noch nicht vollständig abgeklungen, ergo sind sie der gefährlichste Teil der hochradioaktiven Fracht.

Eierlauf mit Kernelementen

Außerdem müssen die Stäbe aus dem zehn mal zwölf Meter großen Becken mit einer Tiefe von über sieben Metern entfernt werden. Der Grund des Pools, in dem noch Trümmerteile liegen, ist 18 Meter über der Erde. Ursprünglich wurden die Elemente millimetergenau über ein computergesteuertes System mit einem Kran platziert bzw. wieder entnommen. Dieses wurde aber zerstört und nun muss der Vorgang manuell mit einem neuen Kran erfolgen. Unter Wasser müssen die Brennelemente aus ihren Ablagegestellen entnommen und dann in eine mobile, stählerne Kammer, die die Strahlung abschirmt, verladen werden. Ist der komplette Vorgang abgeschlossen, würde der Behälter auf den Grund abgelassen und in das unbeschädigte Zwischenlager auf dem Kraftwerksgelände transportiert.

„Es besteht ein hohes Risiko, dass sie eines der Brennelemente fallen lassen und zerstören“, sagte der ehemalige Tepco-Mitarbeiter Toshio Kamura der Agentur. Bei seinem ehemaligen Arbeitgeber sind man das - wenig überraschend - entspannter: Ein Testlauf sei kürzlich erfolgreich verlaufen.

© IWR, 2013