Großbritannien droht Atomstrom-Lücke: Atomkraftwerk Hinkley Point C kommt später und wird noch teurer
© EDF
Paris – Das vom französischen Staatskonzern Électricité de France (EDF) derzeit gebaute britische Atomkraftwerk Hinkley Point C wird noch teurer und deutlich später fertiggestellt als geplant. Mit der zeitlichen Verzögerung droht Großbritannien eine Atomstrom-Lücke zum Ende des Jahrzehnts, wenn nicht alte Atomkraftwerke länger als bisher geplant am Netz bleiben.
In Großbritannien will die Regierung zwar nach den jüngsten Ankündigungen die Atomflotte mit neuen Atomkraftwerken auf bis zu 24 GW Leistung erhöhen, doch diese können wegen der langen Bauzeiten frühestens ab dem Jahr 2040 Strom nach und nach produzieren. Zunächst setzt sich bis zum Jahr 2030 der bestehende Abwärtstrend bei der britischen AKW-Leistung durch weitere Abschaltungen fort. Für viele Jahre wird dann neben dem Atomkraftwerk Sizewell B nur noch das Atomkraftwerk Hinkley Point C mit zwei Blöcken Atomstrom produzieren.
Britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C kostet immer mehr und kommt später
Der französische Energiekonzern EDF hat gestern (23.01.2024) neue Kosten- und Bauzeitschätzungen für die Fertigstellung des britischen Atomkraftwerks Hinkley Point C mit einer Bruttoleistung von 3.280 MW (2 Einheiten C1 und C2 a 1.640 MW) bekannt gegeben. Die letzte Aktualisierung stammt vom 19. Mai 2022, danach sollte der erste AKW-Block C1 im Juni 2027 die Stromproduktion in Großbritannien aufnehmen, Block 2 im Juni 2028 folgen. Daraus wird nun nichts.
In einer neuerlichen Überprüfung des Hinkley Point C Projekts kommt EDF im Rahmen einer Neubewertung nun zu dem Ergebnis, dass es das Ziel von EDF ist, „den AKW-Block C1 gegen Ende des Jahrzehnts in Betrieb zu nehmen“. Das erste EDF-Szenario sieht für die Inbetriebnahme von C1 das Jahr 2029 vor, das zweite Szenario (Basisszenario) das Jahr 2030. Im ungünstigsten Szenario kann Block 1 aber auch erst 2031 in Betrieb gehen, Block 2 folgt danach.
Die Kosten für die Fertigstellung von Hinkley Point C explodieren unterdessen weiter, die EDF-Schätzungen lauten derzeit 31 bis 34 Mrd. britische Pfund, allerdings in Werten von 2015 (ohne Zwischenzinsen und bei einem Referenzwechselkurs von 1 £ = 1,23 €). Zum Zeitpunkt der britischen Entscheidung für den Baustart im Jahr 2016 wurden die Kosten noch auf 18 Mrd. britische Pfund geschätzt.
Staatlich garantierter Abnahmepreis für den Atomstrom aus Hinkley Point C steigt für die Briten unerbittlich
Während die Baukosten vom französischen Staatskonzern getragen werden, müssen die britischen Stromkunden und Steuerzahler den Atomstrom zu einem von der britischen Regierung staatlich garantierten Preis abnehmen. Grundlage ist die Vereinbarung zwischen EDF und der britischen Regierung im Rahmen eines Contract for Difference (CfD) Modells. Danach wird EDF ein Preis für den Atomstrom garantiert, der bei 89,50 £ /MWh (10,3 Cent/kWh) beginnt und mit der jährlichen Inflationsrate steigt. Laut dem Auszug aus dem britischen CfD-Register mit Stand vom 01.09.2023 ist der aktuelle Preis für den Atomstrom auf das neue Zwischenhoch von 128,09 £ /MWh (ca. 14,8 Cent/kWh) gestiegen.
Unter der Annahme einer konservativen britischen Inflationsrate von nur 3 Prozent jährlich ergibt sich laut IWR-Berechnung im Jahr 2030 bereits ein Abnahmepreis für den Atomstrom aus Hinkley Point C in Höhe von 18,20 Cent pro Kilowattstunde Atomstrom. Liegt der gehandelte Marktpreis für den Strom zu dem Zeitpunkt 2030 unter diesem „Strike Price“, dann kommt für die Differenz der britische Steuerzahler bzw. Stromkunde auf. Zum Vergleich: Auf den Future-Märkten wird beispielsweise der Strompreis (Baseload) für das deutsche Marktgebiet zur Jahreslieferung im Jahr 2030 aktuell (Januar 2024) mit nur rd. 6,1 Cent für die Kilowattstunde Strom gehandelt.
Großbritannien droht Atomstrom-Lücke wegen Bauverzögerungen bei Hinkley Point C
In Großbritannien sind derzeit nur noch neun Atomkraftwerks-Blöcke an vier Standorten mit einer Bruttoleistung von 6.500 MW in Betrieb. In der Spitze hatte Großbritannien Atomkraftwerke mit einer Leistung von 13.000 MW (Mitte der 1990iger Jahre) in Betrieb, doch der leise und schleichende Abschaltprozess der alternden britischen Atomflotte sorgt für einen stetigen Rückgang der Atomkraftwerksleistung.
Ursprünglich geplant war die Abschaltung der acht noch verbliebenen alten britischen AGR-Atomkraftwerke bis zum Jahr 2028. In der Zwischenzeit sollte das neue Atomkraftwerk Hinkley Point C dann spätestens ab diesem Zeitpunkt für Ersatz sorgen. Dieser Zeitplan ist nun nicht mehr einzuhalten, wenn Hinkley Point C erst Ende des Jahrzehnts fertig wird. Würde EDF alle acht alten AGR-AKW in Großbritannien bis 2028 tatsächlich vom Netz nehmen, dann wäre die britische Atomflotte auf nur noch ein einziges Atomkraftwerk geschrumpft. Lediglich das AKW Sizewell B mit einer Bruttoleistung von 1.250 MW würde dann nach 2028 und bis zur Fertigstellung von Hinkley Point C noch in Großbritannien Atomstrom produzieren.
Um die drohende Atomstrom-Lücke zu schließen, prüft EDF daher eine Verlängerung der Laufzeiten von noch laufenden, alten AGR-Atomkraftwerken. Knackpunkt sind allerdings die fortgeschrittenen Alterungseffekte (Risse) im Graphitmoderator der AGR-Atomkraftwerke. Ob eine AKW-Laufzeitverlängerung also technisch möglich ist, hängt wegen der vorhandenen Alterungserscheinungen neben den Ertüchtigungskosten auch von der Einhaltung sicherheitsrelevanter Auflagen ab.
Quelle: IWR Online
© IWR, 2024