Neuer Bericht liefert umfassende Bewertung von Klima-Kipppunkten, deren Risiken und gesellschaftlichen Chancen
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Potsdam – Die extremen Niederschläge 2023 und der Dürresommer 2022 rücken die Folgen des Klimawandels stark in den breiten öffentlichen Fokus. Eine neue Studie eines internationalen Forscherteams zu zentralen Klima-Kipppunkten bietet einen umfassenden Leitfaden, um über die bevorstehenden Gefahren und Chancen aufzuklären.
Kipppunkte stellen einige der größten Risiken für die lebenserhaltenden Systeme der Erde und die Stabilität unserer Gesellschaft dar. In einem bislang einmaligen Vorhaben hat ein großes internationales Forschungsteam heute (06.12.2023) auf der COP28 einen umfassenden Bericht über Kipppunkte im Erdsystem und ihre potenziellen Auswirkungen sowie Möglichkeiten für gesellschaftliche Veränderungen veröffentlicht.
5 Kippsysteme derzeit gefährdet, 3 weitere in Gefahr bei Überschreitung von 1.5 Grad
Unter der Leitung der Universität Exeter haben mehr als 200 Forschende aus verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen die verfügbaren Belege für die Veränderungen des Erdsystems für den „Global Tipping Points Bericht“ zusammengetragen und geprüft.
Fünf große Kippsysteme laufen nach den Auswertungen der Wissenschaftler bereits Gefahr, bei der derzeitigen globalen Erwärmung ihren jeweiligen Kipppunkt zu überschreiten. Dabei handelt es sich um den grönländischen und der westantarktischen Eisschild, die subpolare Wirbelzirkulation im Nordatlantik, Warmwasserkorallenriffe und einige Permafrost-Gebiete. Wenn die globale Erwärmung auf 1,5 Grad C ansteigt, könnten mit borealen Wäldern, Mangroven und Seegraswiesen drei weitere Systeme in den 2030er Jahren vom Kippen bedroht sein, so die Wissenschaftler.
In dem Bericht fassen die Forschenden Informationen über Kippsysteme und die damit verbundenen Temperaturschwellen aus Studien über Klimaveränderungen in der Erdgeschichte, heutigen Erdbeobachtungen und Computersimulationen zusammen. Die Autoren weisen darauf hin, dass systematischere Untersuchungen, wie das vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) geleitete Tipping Point Modelling Intercomparison Project (TIPMIP), erforderlich sind, um in Zukunft genauere Erkenntnisse über Kipppunkte und die damit verbundenen wissenschaftlichen Unsicherheiten zu gewinnen.
"Unsere Analyse zeigt übereinstimmende Kernaussagen in der bisher veröffentlichten Forschung zu Kipppunkten im Erdsystem auf. Sie verdeutlicht, dass der gegenwärtige Klimawandel und der Verlust der Natur grundlegende Veränderungen in Schlüsselelementen des Erdsystems verursachen könnten, mit weitreichenden Folgen für Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt", so Jonathan Donges vom (PIK), ein Hauptautor des Berichts.
Zu den Auswirkungen gehören ein beschleunigter Anstieg des Meeresspiegels, veränderte Wettermuster und geringere landwirtschaftliche Erträge. „Diese haben das Potenzial, negative soziale Kipppunkte auszulösen, die zu gewaltsamen Konflikten oder dem Zusammenbruch politischer Institutionen führen könnten“, so Donges weiter. Kipppunkte sind auch nicht unabhängig voneinander, sondern stehen in enger Wechselwirkung: Die Überschreitung eines Kipppunkts im Erdsystem oder in der Gesellschaft könnte wiederum ein anderes Kippsystem destabilisieren, wodurch Kippkaskaden möglich werden.
"Die Welt befindet sich nicht mehr in einem Zustand des schrittweisen und linearen Wandels. Das bedeutet, wir müssen einen rasanten und tiefgreifenden Wandel über mehrere Sektoren und Regionen hinweg auslösen, indem wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen und gleichzeitig positive soziale und wirtschaftliche Kipppunkte nutzen“, fasst PIK-Direktor Johan Rockström zusammen.
Positive Kipppunkte können entscheidend sein, um Planeten zu stabilisieren
Der über 500 Seiten umfassende Bericht ist ein maßgeblicher Leitfaden zum aktuellen Wissensstand über Kipppunkte. Er beschreibt Möglichkeiten zur Beschleunigung dringend benötigter Veränderungen und skizziert Optionen, wie die Politik die Risiken und Chancen von Kipppunkten besser steuern kann.
Das Forschungsteam unterstreicht, dass positive Kipppunkte für den notwendigen transformativen Wandel hin zum raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und der Verringerung der Emissionen aus der Landnutzung entscheidend sein können, um den Planeten zu stabilisieren und negative Auswirkungen von Erdsystem-Kipppunkten auf Gesellschaften zu vermeiden.
Wenn man die Erkenntnisse über Kippdynamiken auf Gesellschaftssysteme anwendet, zeigt sich, dass solche wünschenswerten Veränderungen unter den richtigen Bedingungen selbstverstärkend wirken können. Ein Großteil des Berichts hebt daher die Potenziale für abrupte soziale und technologische Veränderungen hervor und verdeutlicht, dass solche nichtlinearen Veränderungen bereits heute auf den Märkten für erneuerbare Energien und Elektrofahrzeuge zu beobachten sind. Der Bericht hebt mehrere Optionen zur Beschleunigung der Transformation hervor, wie etwa koordinierte Anstrengungen, um positive gesellschaftliche Kipppunkte in den Sektoren Energie, Verkehr und Ernährung auszulösen, und das Vertiefen von Wissen über Kipppunkte in einem IPCC-Sonderbericht.
Quelle: IWR Online
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