02.05.2014, 14:58 Uhr

Wann Gemeindegrund für Erneuerbare-Energien-Projekte enteignet werden kann

Leipzig - Das Oberlandesgericht Jena (OLG Jena) hat die Voraussetzungen für eine Enteignung unter energiewirtschaftlichen Gesichtspunkten zugunsten von Vorhaben zur Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien erstmals konkret beschrieben. Danach ist die Eintragung von Dienstbarkeiten für Stromkabel zulässig und es muss eine Wegenutzung geduldet werden.

Hintergrund des Urteilsspruchs aus Jena war, dass zur Errichtung eines Windparks eine Investorin auf die Wegenutzung fremder Feldwege angewiesen war und darüber hinaus die nötigen Stromkabel ebenfalls über fremden Grund verlegen wollte und auch musste. Der Jurist und Energieexperte Prof. Martin Maslaton erläutert die rechtlichen Details.

Keine Kompromissbereitschaft von Seiten der Kommune

Die geplanten Anlagestandorte grenzten an Grundstücke, die im Besitz einer Gemeinde waren. Der Anlagenbetreiberin gegenüber wurde seitens der Kommune keine Kompromissbereitschaft signalisiert: Die Nutzung ihrer Grundstücke zur wegeseitigen und kabelseitigen Erschließung der geplanten Windenergieanlagen blieb der Investorin verwehrt. Nach langjährigen gescheiterten Einigungsversuchen beantragte die Anlagenbetreiberin beim zuständigen Landesverwaltungsamt die (Teil-)Enteignung der Gemeinde. Dem Enteignungsantrag wurde insofern stattgegeben, dass durch Eintragung in das Grundbuch die Nutzung der gemeindlichen Grundstücke von beschränkten persönlichen Dienstbarkeiten – das heißt zum Zwecke des Wegebaus und der Kabelverlegung – der Investorin zugesichert wurde. Den stattgebenden Enteignungsbeschluss übergab die Gemeinde dem zuständigen Zivilgericht. Das Oberlandesgericht Jena erklärte schließlich Ende 2013 die vorgenommene Enteignung (mit geringfügigen Einschränkungen) für rechtmäßig.

Kein Zweifel am energiewirtschaftlichen Bedarf

Zunächst beschäftigte sich das Gericht mit der Frage, ob die Voraussetzungen, welche eine Enteignung nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) rechtfertigen würden, im vorliegenden Fall erfüllt seien. „Das OLG argumentierte, dass vor dem Hintergrund der Energiewende am energiewirtschaftlichen Bedarf von Erneuerbare-Energie-Anlagen kein Zweifel bestehe auch und gerade angesichts der unbestreitbaren Endlichkeit fossiler beziehungsweise atomarer Energieträger“, so Energierechtsexperte Maslaton. Ebenfalls sah das OLG Jena die Enteignungsvoraussetzungen des § 45 Abs. 1 Nr. 2 EnWG im Hinblick auf die benötigte Kabeltrasse als gegeben an.

Belastung für das Gemeindeeigentum äußerst gering

Ob die Frage nach der beantragten Enteignung von Wegen ebenfalls mit der Ermächtigungsgrundlage des EnWG zu klären sei, konnte vom Gericht nicht bejaht werden. „Im konkreten Fall, so das Gericht, sei eine umfassende Wegenteignung überhaupt nicht notwendig“, erläutert Prof. Maslaton weiter. „Die zu erwartende Belastung für das Gemeindeeigentum sei äußerst gering und dementsprechend muss eine gelegentliche Nutzung der vorhandenen Wege durch Wartungs- und Kontrollarbeiten zumindest nach ‚Treu und Glauben’ (§ 242 BGB) geduldet werden.“

Das Gericht prüfte in diesem Zusammenhang auch den Gegenstand einer bauplanungsrechtlichen Erschließung im Sinne des § 35 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB). „Das Energiewirtschaftsgesetz sieht eine Enteignung nur für solche Bauvorhaben vor, welche grundlegend mit den Prinzipien des Rechtsstaatsprinzips konform gehen. Im vorliegenden Fall sah das OLG die Rechtmäßigkeit des Bauprojekts im Sinne des BauGB bezüglich des Gleichbehandlungs- und Duldungsanspruch als erfüllt an“, so Maslaton. „Anders ausgedrückt: Die Gemeinde muss der Anlagenbetreiberin die geringfügige Nutzung der vorhandenen Wege gewähren.“ Allerdings hat das OLG lediglich den Anspruch auf Duldung von Betriebsverkehr anerkannt. Der meist weit wichtigere Errichtungsverkehr – hier ist vielfach ein Ausbau der Wege für Schwerlasttransporter notwendig – war nicht Gegenstand des Verfahrens. „Hier bleibt die Rechtslage weiterhin leider offen“, stellt der Energieexperte klar.

Urteil noch nicht rechtskräftig

Um vor Gericht Zuspruch für Bauvorhaben - wie im vorliegenden Fall - erhalten zu können, muss das Projekt unter weiteren Gesichtspunkten geprüft werden: „Im Regelfall muss dabei das Wohl der Allgemeinheit die Enteignung erfordern und der Enteignungszweck darf auf andere Weise nicht erreichbar sein“, so der Energierechtsexperte. „Wie nun die zuständigen Verwaltungsgerichte die Grundsatzentscheidung des OLG im Einzelfall anwenden werden, muss allerdings die Praxis zeigen.“

Da beide Seiten gegen das Urteil des OLG Jena beim Bundesgerichtshof Revision eingelegt haben und die Revision vom OLG zugelassen wurde, ist allerdings noch nicht abzusehen, ob das Urteil auch rechtskräftig werden wird.

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