23.08.2013, 13:58 Uhr

Von „Störung“ bis „Katastrophaler Unfall“: Was die INES-Skala eigentlich bedeutet

Münster – Am Dienstag gab es mal wieder eine Panne in der Atomruine von Fukushima: 300 Tonnen hochradioaktives Wasser sind aus einem der zahlreichen Tanks auf dem Gelände ausgelaufen. Der Vorfall wurde sogleich auf Kategorie drei der INES-Skala eingestuft – also ein „ernster Zwischenfall“. Aber welche Klassifizierungen gibt es überhaupt und was haben sie genau zu sagen? IWR-Online gibt einen Überblick.

INES ist die englische Abkürzung für International Nuclear Event Scale (auf Deutsch: Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse). Sie registriert sicherheitsrelevante Ereignisse in kerntechnischen Anlagen sowie Orten mit hoher Anzahl an radioaktivem Material, beispielsweise Atommülllagerstätten, welche eine Gefahr für Mensch und Natur darstellen. Die Skala wird aufsteigend in insgesamt drei Gruppen unterteilt: 0 (Abweichung), 1 bis 3 (Störfall) sowie 4 bis 7 (Unfall).

Betrachtet werden dabei alle Vorkommnisse, die eine Gefährdung verursachen könnten. Darunter fallen unter anderem Störungen der Anlage ohne radioaktiven Ausfall bis hin zum atomaren Super Gau, der sogenannten Kernschmelze, welche meist mit der kompletten Zerstörung der Anlage einhergeht.

Reaktion auf Tschernobyl

Die Skala wurde 1990 offiziell von der internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) und der Kernenergiebehörde der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eingeführt. Hauptursache für die Einführung war das Reaktorunglück von Tschernobyl 1986, was weltweit Angstzustände auslöste, nicht zuletzt auch aufgrund der fehlenden Öffentlichkeitsarbeit sowie fehlendem Wissen im Bereich des Katastrophenschutzes und dem Umgang mit radioaktiven Stoffen. So soll die Skala der Öffentlichkeit ermöglichen, innerhalb kürzester Zeit die Einstufung und Bedeutung der Lage selbstständig zu erfassen.

INES im Detail

Eine Einstufung eines Vorfalls wird zuerst durch den Betreiber der Anlage durchgenommen und später dann gegebenenfalls vom zuständigen Ministerium angepasst. Beurteilt werden dabei die Auswirkungen außerhalb der Anlage, also auf den Menschen sowie die Natur; die Auswirkung innerhalb der Anlage, beispielsweise die Überschreitung radiologischer Barrieren wie dem Reaktormantel, sowie Beeinträchtigungen der Sicherheitsvorkehrungen der Anlage wie etwa auslaufendes radioaktives Wasser in die naheliegende Umgebung.

Vorfälle der Kategorie null bis zwei beschreiben Ereignisse, in denen es zu Ausfällen von Anlagen (Lecks, Ventilöffnungen etc.) kommt, die jedoch keine sicherheitstechnische Gefährdung der Bevölkerung bedeuten. Eine Gefährdung der Bevölkerung liegt erst dann vor, wenn die Strahlenexposition (Aussetzung radioaktiver Strahlung) den der normalen Umweltstrahlung überschreitet. Beispiele der Kategorie null bis zwei sind unter anderem der Transformatorbrand im Kernkraftwerk Krümmel 2007 (eingestuft in Kategorie null) oder die Unterschreitung der Füllstände in den Flutbehältern des Not- und Kühlsystems 2001 im Kraftwerk Philippsburg, die als Störung der Klasse zwei eingestuft wurden.

Ab Stufe drei: Freisetzung radioaktiver Stoffe oder Schäden an der Anlage

Vorfälle der Kategorie drei bis sieben beschreiben hingegen Ereignisse, bei denen es entweder zu schweren Schäden an der Anlage kommt oder eine Freisetzung von radioaktiver Strahlung stattfindet und eine Gefährdung der Bevölkerung als auch des Personals vorliegt. Einstufungen erfolgen dabei nach der freigesetzten Menge radioaktiven Materials, gemessen in Terabecquerel (TBq). Ein Becquerel entspricht der Aktivität einer radioaktiven Substanz, wenn darin pro Sekunde ein Atom zerfällt. Zum Vergleich: Der amtliche Grenzwert für Lebensmittel beträgt 600 Becquerel.

Tritt ein Ereignis der Kategorie drei auf, so wird für kurze Zeit eine sehr geringe Menge an radioaktives Material freigesetzt. Befindet man sich nicht direkt neben dem Geschehen und wird stark kontaminiert, besteht für die Bevölkerung keine Gefahr. Dies ist derzeit in Fukushima der Fall, wo sich das Wasser teilweise in Pfützen sammelt. Ab Stufe vier wird der Vorfall mit einer Freisetzung von 10 bis 100 TBq angegeben, was in etwa der Höhe der natürlichen Strahlendosis in der freien Natur entspricht. Jedoch wird dies bereits als Unfall gewertet (z. B. 1975 in Greifswald/Lubmin).

Die Kategorien fünf bis sieben stufen Ereignisse mit höherer Strahlenexposition ein. Stufe fünf gilt für Freisetzungen radioaktiven Materials von 100 bis 1.000 TBq, Stufe 6 für 1.000 bis 10.000 TBq und Stufe sieben für Freisetzung von mehr als 10.000 TBq. Zudem werden ab Stufe fünf (Beispiel: Kernschmelze 2005 in Lucencs, Schweiz) Katastrophenschutzmaßnahmen getroffen. Auch ist dann mit schweren Schäden am Reaktor zu rechnen. Als höchste Stufe, welche oft auch unter dem Begriff des Supergaus bekannt ist, kommt es zur weitläufigen Kontamination der Umgebung sowie der kompletten Zerstörung der Anlage, wie dies 1986 in Tschernobyl der Fall war. Weiterhin ist mit gesundheitlichen Spätschäden und biologischen Veränderungen wie Genmutationen zu rechnen.

Kritik an der Skala

Umweltverbände kritisieren seit der Einführung der Skala das Einschätzungsverfahren der Lage. So wird zunächst eine erste Bewertung durch den Betreiber der Anlage durchgeführt, welcher dann dies an das zuständige Ministerium weiterleitet. Das Ministerium führt daraufhin eine erneute Prüfung durch und passt gegebenenfalls die Stufe an. Kritiker bemängeln dabei, dass Anlagenbetreiber den Ernst der Lage oft herunterspielen. Der letzte Vorfall in Fukushima war da Wasser auf die Waagen der Kritiker: Tepco stufte den Vorfall zunächst in der Kategorie eins ein und wurde kurze Zeit später von der Regierung überstimmt.


© IWR, 2013