23.08.2013, 16:23 Uhr

Warum Frankreichs Energiewende eine schwere Geburt wird

Paris, Frankreich – Frankreich will Weltmarktführer bei den Erneuerbaren Energien werden und setzt dabei in erster Linie auf Wind- und Gezeitenenergie. Ausgerechnet die ehemalige Chefin des Atomkonzerns Areva leitet dazu eine Expertengruppe. Die französische Atomlobby, allen voran der Stromgigant EdF (Électricité de France), aber auch viele Gewerkschaften, polieren trotzdem bereits ihre Schwerter, um ihre Pfründe zu verteidigen.

Am Montag kehrte die französische Regierung aus ihrem zweiwöchigen Sommerurlaub zurück, in dem die Minister allerdings nicht tatenlos blieben und jeweils Visionen entwarfen, wie sie Frankreich im Jahr 2025 sehen. So will Umweltminister Philipe Martin den „ökologischen Wandel“ für sein Land und stellt sich in zwölf Jahren ein Frankreich als Weltmarktführer für Erneuerbare Energien vor. Die einzelnen Vorschläge der Minister sollen nun in einer Arbeitsgruppe unter Leitung von Anne Lauvergeon geprüft werden, die von 2001 bis 2011 Chefin des französischen Staatsunternehmens AREVA war, das zwar auch im Bereich der Erneuerbaren Energien tätig ist, dessen Hauptgeschäftsfeld allerdings die Nuklearenergie darstellt.

40 Prozent Strom aus Erneuerbaren Energien bis 2030

Bereits in den vergangenen Wochen trafen sich Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Industrie, Gewerkschaft, Nichtregierungs- und Umweltorganisationen zu einer „großen nationalen Debatte“, um Maßnahmen für die Energiewende in Frankreich, die „transition énergétique“, zu diskutieren. Das Resultat wird dann im Herbst 2013 in die Gesetzgebung einfließen und damit die im Wahlkampf 2012 durch den jetzigen Staatspräsidenten François Hollande angekündigten Energieziele zu erreichen. Demnach sollen bis 2025 der Anteil der Atomenergie an der Stromerzeugung von derzeit 75 Prozent auf 50 Prozent reduziert und der Anteil der Erneuerbaren Energien bis 2030 auf 30 bis 40 Prozent der Stromproduktion erhöht werden. 2013 erklärte Hollande daher auch zum Jahr des „historischen Übergangs zu erneuerbaren Energien in Frankreich“.

Anteil Erneuerbarer Energien 2012 bei 16,4 Prozent

Bis es soweit ist und 20 der derzeit 58 Atomreaktoren Frankreichs abgeschaltet werden können, muss der Anteil der Erneuerbaren Energien bis dahin mindestens verdoppelt werden. 2012 stammten lediglich 16,4 Prozent der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien, die sich aus 11,8 Prozent Wasserkraft, 2,8 Prozent Windenergie und 0,7 Prozent Photovoltaik zusammensetzten. Die französische Regierung setzt dabei in erster Linie auf den Ausbau der Wind-, Sonnen- und Gezeitenenergie, wobei die Bretagne im Nordwesten Frankreichs als windige und strömungsreiche Region eine besondere Rolle einnehmen soll. Einige große Windparks sind dort zwar schon gebaut, besondere Aufmerksamkeit bekam hingegen das Meeresgezeitenkraftwerk Arcouest, das mit seiner 16 Meter großen Turbine bis zu 2,2 Megawatt (MW) Leistung erreicht.

Atomenergie hat Zukunft, aber die Kosten explodieren

Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien will Frankreich weiterhin auch an einem hohen Anteil an Atomenergie festhalten. So baut der Staatskonzern EdF derzeit sogar einen neuen Atomreaktor im Kernkraftwerk Flamanwille in der Normandie. Der von Siemens und Areva entwickelte Europäische Druckwasserreaktor (EPR) sollte bereits 2012 in Betrieb gehen und war mit Baukosten in Höhe von 3,3 Milliarden Euro angesetzt. EdF musste dabei die Bauzeit wiederholt verlängern und geht derzeit von einer Inbetriebnahme für 2016 aus. Auch die Baukosten haben sich seitdem mehr als verdoppelt und liegen aufgrund von erhöhten Sicherheitsanforderungen nach der Atomkatastrophe von Fukushima jetzt bei 8,5 Milliarden Euro. Der italienische Energiekonzern Enel ist daher im Dezember 2012 komplett aus dem Projekt ausgestiegen.

Energie-Monopolist EdF schwimmt im Geld

Für EdF dürfte der Ausstieg von Enel allerdings kein großes Problem darstellen, da der Staatskonzern allein für das erste Halbjahr 2013 einen Nettogewinn von drei Milliarden Euro vermelden konnte. 94 Prozent aller Franzosen beziehen ihren Strom von EdF, der im Besitz aller 58 AKW ist und dessen Großaktionär der Staat mit 85 Prozent ist, dessen Kasse dadurch regelmäßig mit guten Dividenden gefüllt wird. Somit ist es auch kaum verwunderlich, dass EdF mit der Regierung eine Strompreiserhöhung von jeweils fünf Prozent für 2013 und 2014 aushandeln konnte, was den höchsten Anstieg seit über zehn Jahren bedeutet. Die Zeche zahlen im Endeffekt die französischen Verbraucher, da die dortige Industrie von subventionierten niedrigen Strompreisen bis mindestens 2016 profitiert.

Regulierungswut unterbindet Wettbewerb

Für die Energiewende ist diese Politik ein schwaches Signal. Ohne freie Preisbildung bleiben Energiesparen und Energieeffizienz auf der Strecke, weil den Verbrauchern ohne ein Marktsystem der Anreiz dafür fehlt und obendrein einen, im Vergleich zu Deutschland, sehr geringen Preis für ihren Strom zahlen, was politisch gewollt ist, um die Gunst der Franzosen zu erlangen. Auch ein Spielraum für private Stromanbieter ist kaum vorhanden, da sich diese bei EdF zu hohen Kosten verbunden mit langfristigen Lieferverträgen eindecken müssten und dazu ein Stromhandel mit den europäischen Nachbarländern kaum existiert. Mit dieser Politik konnte EdF bereits unter Präsident Sarkozy seine Monopolstellung, trotz Forderungen der EU nach mehr Wettbewerb, bewahren.

Franzosen mehrheitlich nicht gegen Atomkraft

Bestärkt durch seine Position wird EdF erheblich bei der Umsetzung der „transition énergétique“ mitmischen und sein Monopol verteidigen wollen. Auch Gewerkschaften und die Atomlobby, die seit jeher einen großen Einfluss auf die französische Politik hatten, werden sich gegen eine Senkung des Anteils der Atomenergie am französischen Strommix wehren, da sie um Gewinne und Arbeitsplätze fürchten müssen. In einer Umfrage des Institut français d"opinion publique (IFOP) aus dem Juni 2013 wurden 2.004 Franzosen zur Kernenergie befragt. Demnach sprachen sich 36 Prozent der Befragten für die Atomenergie aus, 34 Prozent gaben sich unentschlossen und lediglich 14 Prozent waren dagegen (16 Prozent ohne Meinung). Hinsichtlich der Aussagen, dass Atomkraft Frankreich unabhängig gegenüber anderen Energieformen macht, oder dass Atomkraft gefährlich ist, wobei sich die Befragten für eine der beiden Antworten entscheiden mussten, bezüglich ihrer Präferenz, stimmten 59 Prozent für Aussage eins, gegenüber 41 Prozent für Aussage zwei. Damit bleibt die französische Gesellschaft gespalten und man darf gespannt sein, wie und ob Frankreich seine Energiewende umsetzen wird.

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