15.03.2016, 15:20 Uhr

War der Atomausstieg verfassungswidrig?

Karlsruhe – Bundesminister, Vorstandschefs und jede Menge Anwälte sind in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht vor Ort, um über die Verfassungsmäßigkeit des Atomausstiegs der Bundesregierung im Jahr 2011 zu verhandeln. Die Energiekonzerne könnten Schadensersatz in Milliardenhöhe verlangen, wenn das Gericht im schnellen Ausstiegsbeschluss einen Verfassungsbruch sieht. Der Ausgang ist offen.

Am heutigen Dienstag und am morgigen Mittwoch beschäftigt sich der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts mit den insgesamt drei Verfassungsbeschwerden gegen Vorschriften des Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes vom 31. Juli 2011. Die Atomenergie-Konzerne als Beschwerdeführer betonen unter anderem den Tatbestand der Enteignung.

Hickhack um Atomausstieg nach Regierungswechsel und Fukushima

Die drei Verfassungsbeschwerden kommen von den Energiekonzernen E.ON, RWE und Vattenfall. Es geht um das Atomgesetz von August 2011, das die Abschaltung der letzten Kernkraftwerke in Deutschland bis 2022 beinhaltet. Dies geschah vor allem als Reaktion auf die Nuklearkatastrophe in Fukushima vor fünf Jahren. Ein erster Atomausstieg der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2002 war im Jahr 2010 von der schwarz-gelben Regierung wieder aufgehoben worden. Der Zickzack-Kurs beim Atomausstieg hat letztlich zur Klage der Konzerne geführt. Diese sehen in der erneuten Streichung von Rest-Strommengen und in festen Abschaltterminen eine Enteignung und einen unzulässigen Eingriff in ihre Berufsfreiheit. Weil das zweite Atomausstiegsgesetz keine Entschädigungsregelung vorsehe, sei es verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst nur zu klären, ob das Gesetz verfassungsgemäß ist. Falls nicht, könnten die RWE, E.ON und Co. Schadensersatz in Milliardenhöhe einklagen. Von bis zu 15 Mrd. Euro ist die Rede.

E.ON-Sprecher stellt klar: Ziel ist angemessene Entschädigung für Aktionäre

Der E.ON-Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen hatte zuletzt immer wieder betont, dass es ihm um einen fairen und gerechten Ausstieg aus der Kernenergie gehe. Ein E.ON-Sprecher erklärte zudem heute via Twitter, dass es für E.ON in Karlsruhe nicht um eine Klage gegen den Atomausstieg als solchen ginge. Ziel sei ausschließlich eine angemessene Entschädigung für die Aktionäre.

Trittin: Betreiber müssen gegenüber Aktionären Aktivitäten vorweisen

Jürgen Trittin (Bündnis 90 / Die Grünen), ehemaliger Bundesumweltminister (1998 bis 2005) und aktueller Co- Vorsitzender der "Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK)" gibt den Klagen der Energiekonzerne gegen den Atomausstieg keine Chance. "Die Unternehmen klagen zurzeit gegen den von ihnen selber unterschriebenen Atomkonsens. Ich würde aus diesem Grunde sagen, die Werthaltigkeit der Klage in Karlsruhe ist außerordentlich bescheiden", sagte Trittin im phoenix-Interview. "Mir scheint es eher so zu sein, dass die Vorstände der Unternehmen hier etwas unternehmen mussten, um ihren Aktionären zu zeigen: Wir haben das nicht wehrlos über uns ergehen lassen."

BUND protestiert in Karlsruhe: Schutz der Menschen hat Vorrang

Ähnlich sieht es die Umweltschutzorganisation Greenpeace: Die Verhandlungen werden keine Basis für milliardenschwere Entschädigungszahlungen liefern. Die Umweltschutzorganisation hält den nach dem Super-GAU in Fukushima beschlossenen beschleunigten Atomausstieg für verfassungskonform. Die 13. Novelle des Atomgesetzes stimme im Wesentlichen mit dem Atomausstieg von 2002 überein, den die Atomkonzerne selbst unterschrieben haben.

Mit einer Kundgebung vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe haben Aktivisten des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen die „Verzögerungstaktik“ der AKW-Betreiber protestiert. Mit Transparenten, auf denen "Atomkraft muss Geschichte werden!" und "Atomausstieg ins Grundgesetz!" stand, verlangen sie die sofortige Stilllegung der acht noch in Deutschland am Netz befindlichen Atommeiler. Der Schutz der Menschen müsse Vorrang vor den Gewinninteressen von Unternehmen haben, so der stellvertretende BUND-Vorsitzende Klaus Brunsmeier.

Quelle: IWR Online

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