15.09.2015, 13:11 Uhr

Die Wahrheit über die Atomkraft-Rückstellungen

Münster – Die Rückstellungen der Stromversorger für den Abriss der Atomkraftwerke rücken erneut in den Fokus und sorgen für Furore. Spiegel Online und andere Medien zitieren aus einem Gutachten, wonach die Rückstellungen der AKW-Betreiber viel zu niedrig sind. E.ON- und RWE-Aktien verlieren trotz Dementi massiv an Wert.

Der gewaltige Fehlbetrag in Höhe von 30 Mrd. Euro sei laut Spiegel Online darauf zurückzuführen, dass die Konzerne mit positiven Zinserträgen rechnen. So soll mit Zinsen von bis zu 4,7 Prozent kalkuliert worden sein. Auch der angesetzte Realzins sei positiv. Die Gutachter gehen jedoch von einem negativen Realzins aus. Wegen des gigantischen Fehlbetrags müssten die Rückstellungen erhöht werden, heißt es in manchen Berichten.

E.ON hat anderen Medienberichten zufolge inzwischen erklärt, dass es noch gar kein Ergebnis des Stresstests gebe, sondern lediglich einen Entwurf. Die Rückstellungen des Konzerns seien „sachgerecht, richtig und angemessen bilanziert“.

Mediale Irreführung: Rückstellungen sind Schulden, die bezahlt werden müssen

Rückstellungen sind vorab gebuchte Schulden, die später bezahlt werden müssen. Insofern ist die Formulierung in vielen Medien irreführend, dass die Rückstellungen zu niedrig angesetzt wurden und erhöht werden müssten oder Milliardenbeträge fehlen würden. Rückstellungen (Schulden) sind keine Rücklagen (Eigenkapital) und stellen auch kein "geparktes" oder gebundenes Kapital dar.

Eine Erhöhung der Rückstellungen (Schulden) bedeutet ledigich eine Erhöhung der Schuldenlast in der Bilanz. Erhöhen die Stromversorger und AKW-Betreiber die Rückstellungen in einem Bilanzjahr, dann sinkt der Jahresüberschuss um denselben Betrag und reduziert damit die Gewinnsteuern.

Kapitalanlagen zur Finanzierung der Rückstellungen ausreichend?

Die vorab gebuchten Rückstellungen müssen zu einem späteren Zeitpunkt (wenn der AKW-Abriss eintritt) tatsächlich bezahlt werden. Insofern ist der Dreh- und Angelpunkt die Fähigkeit der Stromversorger und AKW-Betreiber, dass sie in der Lage sind, die Rückstellungen auch bezahlen zu können.

Offenbar reichen nach aktueller Einschätzung oder Szenarienspiel der Gutachter die vorhandenen Kapitalanlagen und Beteiligungen für die Finanzierung der Abrisskosten und der Endlagerung des radioaktiven Mülls nicht aus, weil die AKW-Betreiber einen zu niedrigen Zinssatz für ihren Kapitalstock angesetzt haben und am Ende der Zinses-Zins-Effekt nicht ausreichend ist.

Rückstellungen werden allerdings normalerweise nicht aus Kapitalanlagen, sondern aus dem laufenden, operativen Geschäftsbetrieb heraus bezahlt. Deshalb ist nicht allein die Höhe der Kapitalanlagen entscheidend, sondern die Kernfrage lautet, wie hoch die operative Fähigkeit der AKW-Betreiber zur Erwirtschaftung von Gewinnen zum späteren Zeitpunkt der Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen ist.

IWR Institut plädiert für Zwei-Fonds-Strategie

Weil die Bezahlung der gebuchten Rückstellungen unsicher sein kann und für den Steuerzahlen ein Risiko darstellt, schlägt das IWR Institut zur Finanzierung des AKW-Rückbaus und der Atommüll-Entsorgung auch mit dem Ziel einer höheren Transparenz eine Zwei-Fonds-Strategie vor. Dabei geht es zum einen um je einen Einzel-Abrissfonds der vier AKW-Betreiber (RWE, E.ON, Vattenfall, EnBW) für den Rückbau der AKWs. Die Fondshöhe erfolgt in Abhängigkeit von der Anzahl der Atomkraftwerke. Die Verwaltung und Anlage der Finanzmittel für den jeweiligen Abriss-Fonds orientieren sich unter BaFin-Auflagen an den strengen Regeln für Versicherungsgesellschaften. Zusätzlich sollte ein zentraler Endlager-Fonds gebildet werden, in den alle AKW-Betreiber gemeinsam für die Endlagerung des Atommülls einzahlen.

Quelle: IWR Online

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