26.01.2016, 11:33 Uhr

Wismarer Windenergie-Appell: Nord-Bundesländer gegen 45-Prozent-Ausbaugrenze

Wismar - Die Regierungschefs der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sowie die Windindustrie, die Nordmetall und die IG Metall Küste haben gemeinsame Ziele beim weiteren Ausbau der Windenergie an Land und auf See formuliert. Zentrale Botschaft: Das im EEG 2014 formulierte Ziel eines Anteils der Erneuerbaren von 40 bis 45 Prozent im Stromsektor bis 2025 dürfe nicht als Obergrenze missverstanden werden. Umweltverbände gehen sogar noch weiter.

Der sogenannte "Wismarer Appell" vom 25. Januar 2015 hat insgesamt zehn Unterzeichner. Es geht um den Onshore-Windkraft-Ausbaupfad von jährlich 2.500 Megawatt (MW), um den Erhalt der Bürgerenergieprojekte sowie der Akteursvielfalt und um die Perspektiven der Offshore-Windenergie. Hintergrund des Papiers sind die aktuellen Beratungen der Regierung zum Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), bei der unter anderem auf ein Ausschreibungssystem umgestellt werden soll. Führende Politiker der Unionsfraktion hatten zuletzt vor einem zu schnellen und kostspieligen Ausbau der Erneuerbaren gewarnt.

40 bis 45 Prozent erneuerbarer Strom bis 2025 keine Obergrenze

Im Rahmen der aktuellen Reformüberlegungen der Bundesregierung zum EEG sind laut „Wismarer Appelle“ noch wichtige Änderungen notwendig, um die gemeinsamen Ziele zu erreichen und aktuelle positive energie- und wirtschaftspolitische Entwicklungen in Deutschland nicht zu gefährden.

Das im EEG 2014 politisch gesetzte Ziel eines Anteils der erneuerbaren Energien am gesamten Stromverbrauch von 40 bis 45 Prozent bis 2025 darf nicht als Obergrenze missverstanden werden. Der künftig deutlich höhere Bedarf an erneuerbarem Strom z.B. im Wärme- und Mobilitätsbereich sowie das Abkommen von Paris zum globalen Klimaschutz sprechen für eine schnellere Zielerreichung. Allein durch den bis 2022 vollendeten Atomausstieg fallen zudem ca. 16 Prozent der deutschen Stromerzeugung weg. Ohne Kompensation durch erneuerbare Energien müsste vermehrt Strom importiert oder fossil erzeugt werden, so die Unterzeichner.

Ausbauziel von 2.500 MW für die Onshore-Windenergie belassen

Eine ausreichende kritische Masse an Ausbauvolumina für die Windenergie an Land und auf See sei zudem entscheidendes Kriterium für weitere technische Innovation zur Kostendämpfung. Nur so könne die Technologieführerschaft deutscher Hersteller von Windkraftanlagentechnik in global wachsenden Märkten und eine große Zahl von Arbeitsplätzen in Deutschland gesichert werden.

Für die Windenergie an Land nennt das EEG 2014 nennt einen Ausbaupfad von 2.500 MW pro Jahr, auf den sich die Branche eingestellt hat. Dieser dürfe nicht abgesenkt werden. Insbesondere darf die Zubaumenge der Windenergie an Land nicht vom Zubau der Photovoltaik und dem der Windenergie auf See abhängig gemacht werden, wie es die derzeit diskutierte Berechnungsformel zur Bestimmung der künftigen Ausschreibungsmengen vorsehe. Unsichere und jährlich schwankende Ausschreibungsmengen nehmen den Unternehmen die Planungsgrundlage und gefährden Arbeitsplätze, heißt es in dem neuen Appell.

De-Minimis: Spieleraum der EU-Richtlinie für Akteursvielfalt nutzen

Die Umstellung auf Ausschreibungen bedeutet gerade für kleine Akteure und Bürgerenergieprojekte eine enorme Herausforderung. Daher müsse es Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht für kleine Akteure und Bürgerenergieprojekte geben, um auch langfristig die Akteursvielfalt zu erhalten. Die einschlägige EU-Richtlinie bietet hier ausreichenden Spielraum. Gemeint ist hiermit die sogenannte De-Minimis-Regelung. Danach können kleinere Windenergieprojekte außerhalb des Ausschreibungsverfahrens unterstützt und realsiert werden. Die EU denkt an eine Obergrenze für Windparks von bis zu 18 MW.

Offshore-Windbranche braucht Projektvergabe über mindestens 900 MW pro Jahr

Auch auf die Windenergie auf See geht der „Wismarer Appell“ ein. Die Offshore-Branche sei inzwischen ein bedeutender Wirtschafts-, Export- und Wachstumsfaktor in Deutschland mit derzeit ca. 18.000 direkten Arbeitsplätzen. Nur durch die Bereitstellung eines ausreichenden Volumens an Zubaumöglichkeiten seien die erforderlichen Kostensenkungspotentiale erreichbar. Auch in einem zukünftigen Ausschreibungsmodell bzw. dem Übergang dahin müssen jedes Jahr zwei, besser drei Windparks jährlich errichtet werden, um die industrielle Basis zu sichern. Dazu müssten jedes Jahr mindestens 900 MW vergeben werden.

Insgesamt pochen die Unterzeichner auf ein Höchstmaß an Vertrauensschutz und Rechtssicherheit für diejenigen, die im Vertrauen auf die ursprünglichen Ausbaupläne erhebliche Vorleistungen erbracht haben. Die Übergangsphase sollte daher mindestens vier Jahre dauern und mehrere Auktionen umfassen. Wichtig sei zudem ein flexibles, aber dennoch verlässliches Netzanbindungsregime. Es müsse jetzt sichergestellt werden, dass der zuständige Übertragungsnetzbetreiber für die Nordsee sofort mit den Arbeiten für die Fertigstellung von Netzanschlusssystemen 2021 und 2022 beginnt. Auch ist der Netzausbau an Land sei abzusichern und zu beschleunigen.

DUH, Germanwatch und WWF: Bürgerenergieprojekte weiterhin ermöglichen

Noch deutlicher werden die Deutsche Umwelthilfe (DUH), Germanwatch und WWF in ihren Forderungen an Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). So verlangen Änderungen bei den geplanten Regeln für Ausschreibungen. Bürger und Genossenschaften müssten zentrale Triebkraft der Energiewende bleiben. Die geplanten Regeln sehen keine ausreichenden Ausnahmen für kleine, bürgernahe Projekte vor. "Die Beteiligung von Bürgern und Genossenschaften vor Ort ist eine wichtige Grundlage für die Akzeptanz der Energiewende", so die Verbände. "Bundeswirtschaftsminister Gabriel sollte den vorhandenen europapolitischen Spielraum nutzen, um Bürgerenergieprojekte weiterhin zu ermöglichen."

Quelle: IWR Online

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