01.03.2010, 12:06 Uhr

Studie: Energiekonzept der Regierung muss Systemkonflikt vorbeugen

Berlin - Längere AKW-Laufzeiten und zusätzliche Kohlekraftwerke programmieren nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe (DUH) einen neuen Fundamentalkonflikt auf dem Weg ins regenerative Zeitalter. Längere Reaktorlaufzeiten und zusätzliche Kohlekraftwerke seien mit dem im Koalitionsvertrag der Regierungsparteien vorgeschlagenen Eintritt in das "Zeitalter regenerativer Energien" technisch unvereinbar. Sie würden schon im kommenden Jahrzehnt den von der Koalition ebenfalls versprochenen Vorrang von Strom aus Wind und Sonne untergraben. Da die Klimaziele (minus 80 - 95% bis 2050) nur mit einem vollständigen Umstieg auf Erneuerbare Energien zu erreichen seien, käme der Klimaschutz unter die Räder. Das erläutern die DUH, der BEE und das Kasseler Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) auf Grundlage einer aktuellen Untersuchung. Die IWES-Studie analysiert nach Angaben der Partner insbesondere die Rückwirkung zunehmender variabler Einspeisung von Regenerativstrom auf den verbleibenden Kraftwerkspark.

Das Energiekonzept, das die Bundesregierung derzeit ausarbeiten lässt, bleibt nach Ansicht der DHU ein Muster ohne Wert, wenn es den Systemkonflikt zwischen Erneuerbaren Energien und klassischen Großkraftwerken nicht untersucht. Der Weg in das regenerative Zeitalter müsse im Regierungskonzept konkret und nachvollziehbar beschrieben werden. Andernfalls programmiere die Regierung den nächsten energiepolitischen Fundamentalkonflikt. Eine Laufzeitverlängerung werde sich nicht als Brücke, sondern als Sackgasse für die regenerativen Energien erweisen. Im Übergang in das regenerative Zeitalter werden die heutigen Grundlastkraftwerke nach IWES-Angaben deutlich weniger Stunden im Jahr ausgelastet. Es würden Kraftwerke benötigt, die vor allem flexibel der variablen Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne folgen können. Schon bei einem Jahresanteil an der Stromversorgung von weniger als 50 Prozent deckten die erneuerbaren Energien bei stündlicher Betrachtung zwischen 15 und 110 Prozent des gesamten Strombedarfs ab. So werde ein zunehmender Anteil der konventionellen Kraftwerke nur noch als "Backup" zur jederzeitigen Absicherung des Strombedarfs benötigt.

Ein wirtschaftlicher Betrieb von Grundlastkraftwerken sei dadurch unsicher und ein flexibler Betrieb nicht technisch zu verifizieren. Entscheidend für einen flexiblen Betrieb zur Integration erneuerbarer Energien seien kurze Mindest-Stillstandzeiten, geringe Anfahrdauern und kurze Mindest-Betriebszeiten. Gehe die aktuelle Ausbaudynamik der erneuerbaren Energien weiter, könnten sie schon im Jahr 2020 mehrere dutzend Stunden den gesamten Strombedarf Deutschlands allein abdecken Je weiter man auf dem Weg in das regenerative Zeitalter vorankomme, umso wichtiger werde darüber hinaus die Bereitstellung von Ausgleichsmaßnahmen wie Stromtransport, Speicher und Energiemanagement. Besonders konventionellen und neuartigen Stromspeichern komme hier große Bedeutung zu. Zwar passten in Deutschland Stromnachfrage und Einspeisung von beispielsweise Windenergie im Jahresverlauf vergleichsweise gut zusammen. Massive Schwankungen und Abweichungen zwischen Bedarf und Einspeisung könne es jedoch nach den Ergebnissen der Untersuchung von Woche zu Woche geben. Deshalb müsse in der Übergangsphase der Ausgleich über schnell reagierende Kraftwerke und mehr großräumige auch transnationale Stromverbindungen sichergestellt werden.

Langfristig könne eine Stromversorgung mit Hilfe starker Netze, Energiemanagement (Elektro-Kfz, gesteuerte Lasten, Kombikraftwerke) und neuartiger Stromspeicher vollständig regenerativ erfolgen. Zu den neuen Speichermöglichkeiten gehöre die Erzeugung von Methan aus Windenergie, das dann im vorhandenen Erdgasnetz gespeichert und in Gaskraftwerken genutzt werden kann. Dem in der IWES-Untersuchung auf Basis des BEE-Szenarios ermittelten, verbliebenen Bedarf an konventionell erzeugter Grundlast in Höhe von 27 Gigawatt (GW) steht nach IWES-Berechnungen im Jahr 2020 absehbar mindestens folgende Grundlastleistung gegenüber: 15,6 GW aus jüngeren Stein- und Braunkohlekraftwerken (Inbetriebnahme oder grundlegende Nachrüstung seit 1990), 11,4 GW aus neuen, derzeit im Bau befindlichen Stein- und Braunkohlekraftwerken (in der Summe: 27 GW); darüber hinaus die derzeit unklare Leistung aus Atomkraftwerken (aktuell 21,5 GW). Das Problem sei also nicht zu wenig Strom in der Grundlast sondern zu viel, da jede Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken und jeder weitere Zubau von Kohlekraftwerken bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre zu einem Überangebot von Strom aus Kraftwerken führe, die für hohe Volllaststunden ausgelegt sind.

Je weiter der Ausbau der Erneuerbaren Energie vorankomme, umso mehr werde sich der Systemkonflikt zwischen variabler Einspeisung von Wind- und Solarstrom und inflexiblen Großkraftwerken zuspitzen. Schon im kommenden Jahrzehnt sei damit zu rechnen, dass die Erneuerbaren Energien den Strombedarf immer häufiger vollständig abdecken. In diesen Situationen müssten alle Kohle und auch alle Atomkraftwerke vollständig abgefahren werden. Da jedoch ein Wiederanfahren von Atomkraftwerken mehr als zwei Tage dauere, würde ein solcher Abschaltvorgang regelmäßig die Versorgungssicherheit gefährden. In der Konsequenz würden Windräder in steigender Zahl und Häufigkeit aus dem Wind gedreht, der Einspeisevorrang des EEG würde zunehmend unterlaufen. Nach Ansicht des BEE ist die Debatte um Laufzeitverlängerungen und neue Kohlekraftwerke rückwärtsgewandt. Sie lenke von den wirklichen Herausforderungen ab. Im Kern sei sie ein Konflikt zwischen denen, die Strukturen konservieren wollen und denen, die sie modernisieren und zukunftsfähig machen wollen.

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