22.08.2013, 11:50 Uhr

Grundversorgungs-Tarife: Greenpeace will „Abzock-Bremse“

Münster – Auch Greenpeace hat sich jetzt in die Debatte um die steigenden Strompreise für Endverbraucher und ihre mögliche Begrenzung eingeschaltet: Die Umweltorganisation wittert bei den vergleichsweise teuren Grundversorgungstarifen Preistreiberei und will eine Intervention der Wettbewerbsaufsicht. Auch die Ausnahmen von der EEG-Umlage sollen reduziert werden.

2,6 Cent Ersparnis pro Kilowattstunde, das sind knapp zehn Prozent: So viel Ersparnis verspricht Greenpeace mit einem dreistufigen Konzept zur Senkung der Stromkosten, das jetzt mit dem kernigen Namen „Abzockbremse“ vorlegt wurde. Ähnlich wie bei dem in der letzten Woche von der SPD vorgelegten Zehn-Punkte-Plan nehmen die Umweltschützer die lokalen Versorger und deren oft Grundversorgungstarife ins Visier. In dieser Tarifgruppe sollen immerhin 40 Prozent der Privatkunden eingestuft sein, sie sind laut Greenpeace die „Cash Cows“ der Versorger: Ältere Menschen oder Kunden, die aus Bonitätsgründen den Anbieter nicht wechseln können. Andere Kunden scheuen nach den Pleiten von Unternehmen wie Flexstrom den Anbieterwechsel schlichtweg – oder haben sich mit dem Thema noch nicht beschäftigt. Hildegard Müller, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, vermutet sogar einen „bewussten Verzicht“ auf Wechsel.

Wettbewerbsaufsicht soll einschreiten

Greenpeace fordert nun, dass die Kartellbehörden untersuchen, ob Energiekonzerne oder Stadtwerke mit ihren Grundversorgungstarifen eine marktbeherrschende Stellung missbrauchen. Recherchen des Beratungsunternehmens Energy Brainpool legen laut Greenpeace den Schluss nahe, dass die Stromanbieter in den Grundversorgungstarifen ihre Gewinnmargen seit dem Jahr 2009 um mehr als 70 Prozent steigern konnten. In den weiteren Wettbewerbstarifen seien die Gewinne gesunken. "Bestätigt sich der Verdacht, dass die Energieversorger ihre marktbeherrschende Stellung ausnutzen, können die Stromkunden ihre zu hohen Zahlungen zurückfordern", erläutert Rechtsanwalt Martin Hack, Autor des Rechtsgutachtens. Greenpeace hat als Reaktion auf das Rechtsgutachten bei allen 16 Landeskartellbehörden Anträge auf Überprüfung der Grundversorgungstarife gestellt.

Als zweiten Schritt fordert Greenpeace, dass der Staat die Standardtarife vorab prüft und genehmigt - wie es bis zum Jahr 2007 möglich war. Mit einer damaligen Reform des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) nahm sich die Regierung jedoch diese Einflussmöglichkeit auf die Strompreise. Jetzt müsse das EnWG erneut reformiert werden, weil der Wettbewerb in der Grundversorgung nicht funktioniert. Ein Vorschlag der Verbraucherzentrale Bundesverband dazu: die Ausschreibung der Dienstleistung mit der anschließenden Vergabe an den günstigsten Bieter.

Höhere Kosten im Grundversorgungstarif?

„Wenn Anbieter ihre Kunden mit überhöhten Grundversorgungstarifen abzocken, muss die Bundesnetzagentur eingreifen und Preissenkungen durchsetzen“, erklärte Matthias Machnig, Schatten-Wirtschaftsminister der SPD in einer ersten Reaktion. Die Sozialdemokraten hatten in der letzten Woche vorgeschlagen, dass die Wettbewerbsaufsicht eingreifen solle, wenn ein Grundversorgungstarif in der Vergleichsregion nach oben über zehn Prozent von dem niedrigsten Angebot abweicht. Rechnerisch würden die Verbraucher nach Angaben der SPD allein mit dieser Maßnahme um 1,5 Mrd. Euro oder 40 Euro im Jahr entlastet.

Der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) führte laut einem Bericht der „Welt“ gleich mehrere Gründe für die im Vergleich höheren Kosten an. Neben dem „deutlich höheren“ Verwaltungsaufwand sei es die zweiwöchige Kündigungsfrist, die ein planerisches Risiko darstelle. Bei den Wettbewerbern müssten sich die Kunden deutlich länger binden.

Ausnahmen von der EEG-Umlage sollen reduziert werden

Der dritte und letzte Punkt im Greenpeace-Konzept ist unstrittig: Die zahlreichen und immer mehr werdenden Ausnahmen von der EEG-Umlage für die Industrie sollen angegangen werden. Für wirklich energieintensive und international tätige Unternehmen ist die Rabattregelung sinnvoll, doch in deren Genuss kommen auch fragwürdige Antragsteller. Das müssen die Verbraucher bezahlen. Nach einer Erhebung der Deutschen Umwelthilfe summieren sich diese auf 2,7 Mrd. Euro im Jahr 2012 und fast fünf Mrd. im laufenden Jahr. 2014 könnten die von der Industrie eingesparten Stromkosten 2014 schon deutlich über die Sieben-Milliarden-Euro-Marke steigen. Die Regelung ist ohnehin im Visier der EU, mit Ergebnissen ist aber erst nach der Bundestagswahl zu rechnen.


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