17.09.2014, 16:22 Uhr

Energiewende: Warum Deutschland plötzlich keine Speicher mehr braucht

Münster - In den letzten Jahren wurde immer wieder die Botschaft verkündet, dass ohne Speicher die Energiewende in Deutschland nicht funktionieren kann. Laut einer neuen Studie werden bis 2030 gar keine zusätzlichen Speicher benötigt. Trotzdem werden neuerdings immer mehr Stromspeicher realisiert. Einigen Akteuren gefällt das offenbar gar nicht.

Ende der vergangenen Woche hatte die Agora Energiewende unter der Überschrift „Die Energiewende muss nicht auf Stromspeicher warten“ die Ergebnisse einer neuen Studie vorgestellt. Demnach ist eine erfolgreiche Energiewende in den nächsten 20 Jahren nicht auf zusätzliche Speicher angewiesen. Dennoch liegen große Batteriesysteme im Trend: Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) weihte zu Beginn dieser Woche den bislang größten kommerziellen Stromspeicher Europas ein.

Gabriel: Batterien sollen ihre Stärke auch bei der Regelleistung ausspielen

Europas erstes kommerzielles Batteriekraftwerk ging im Beisein von Gabriel und Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering ans Netz. Der fünf Megawatt (MW) Lithium-Ionen Speicher wurde vom Berliner Netz- und Speicherspezialisten Younicos konzipiert und kommt beim Schweriner Ökostromversorger Wemag nun zum Einsatz. Die Anlage stabilisiert kurzfristige Schwankungen der Netzfrequenz mit Regelleistung. Sie sorgt dafür, dass Wind- und Sonnenstrom sicher in das bestehende Netz integriert werden können, erklärte die Wemag.

Auch Gabriel verknüpft bei der feierlichen Eröffnung die Stromspeicher mit dem Erfolg der Energiewende: „Der erste wirtschaftlich operierende Batteriespeicher in dieser Größenordnung ist ein wichtiger Schritt zum Gelingen der Energiewende. Gerade im Bereich der Regelleistung zur Stabilisierung der Netzfrequenz können Batterien ihre Stärke ausspielen“, so Gabriel bei der feierlichen Eröffnung.

Studie: Energiewende in den nächsten 20 Jahren nicht auf Speicher angewiesen

Ganz anders als die Wemag und Gabriel sehen es die Uni-Wissenschaftler aus Regensburg, Aachen und Dortmund, die von Agora mit einer Studie zur Notwendigkeit von Stromspeichern für die Energiewende beauftragt wurden. Ergebnis der 152 Seiten umfassenden Untersuchung: Der in Deutschland geplante Ausbau von Wind- und Solaranlagen ist in den kommenden 20 Jahren nicht auf neue Stromspeicher angewiesen.

Flexible Fahrweise von konventionellen Kraftwerken offenbar jetzt doch möglich

Immer wieder wurde in der Vergangenheit von der Energiewirtschaft und den Kraftwerksbetreibern erklärt, dass die großen Kraftwerke zu starr und nicht in der Lage sind, kurzfristig auf Schwankungen zu reagieren. Damit wurde auch beispielsweise das Auftreten negativer Strompreise an der Strombörse begründet, wenn nämlich "weitgehend unflexible Erzeugung auf eine schwache Nachfrage trifft". Um so verblüffender sind jetzt die Ergebnisse der Agora-Studie: Die zum Ausgleich der wetterabhängigen Stromproduktion benötigte Flexibilität im Stromsystem kann laut Agora-Studie weitaus günstiger bereitgestellt werden: Zum Beispiel durch eine flexible Fahrweise von fossilen Kraftwerken, durch aktives Lastmanagement bei industriellen Stromverbrauchern sowie durch Stromhandel mit Nachbarstaaten.

Patrick Graichen ist Direktor von Agora Energiewende, die von der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation getragen wird. Er sagt: „Die Energiewende muss nicht auf Speicher warten. Für die nächsten 15 bis 20 Jahre – das heißt bis zu einem Anteil von 60 Prozent Erneuerbaren Energien – haben wir noch genügend andere, günstigere Flexibilitätstechnologien zur Verfügung.“ Die Märkte für neue Speichertechnologien wie Batterien, Power-to-Heat oder Power-to-Gas würden vermutlich dennoch dynamisch wachsen, weil der Bedarf aus den Bereichen Verkehr, Wärme und Chemie steige.

Sorge der Kraftwerksbetreiber - Angst vor neuen Wettbewerbern auf dem Regelenergiemarkt?

Hinter dem Sinneswandel vermuten einige Experten die Befürchtung der Energiewirtschaft und der Kraftwerksbetreiber, dass neue Anbieter mit Batteriespeichern auf den Markt für Regelenergie drängen. Neben der Wemag hatte zuletzt auch ein Bürgerwindpark in Schleswig-Holstein einen großen Stromspeicher ans Netz angeschlossen. Wie die Windpark-Betreiber erklärten, wollen sie damit - genau wie die Wemag - in Zukunft auch am Regelenergiemarkt für Strom partizipieren. Wenn das Schule macht, müssen die Kraftwerskbetreiber auch um ihre Investitionen in konventionelle Regelenergie-Kraftwerke fürchten.

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